Ankara. . Vor 14 Jahren kostete das Kopftuch eine Abgeordnete in Ankara ihren Sitz und ihren Reisepass. Nun hat das umstrittene Kleidungsstück doch noch in der türkischen Volksvertretung Einzug gehalten. Vier Abgeordnete betraten den Plenarsaal des Parlaments mit dem Türban, dem islamischen Kopftuch.

Es passierte beim Hadsch, der islamischen Pilgerfahrt in Mekka. Da überkam Nurcan Dalbudak Mitte Oktober die „Spiritualität“, wie sie selbst sagt. Dalbudak ist Parlamentsabgeordnete der regierenden türkischen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP). Auch für ihre Fraktionskolleginnen Sevde Beyazit Kacar, Gönül Bakin Sahkulubey und Gülay Samanci blieb die Wallfahrt zur Kaaba, dem zentralen Heiligtum des Islam, nicht ohne Folgen. Alle vier Abgeordneten betraten am Donnerstag den Plenarsaal des Parlaments mit dem Türban, dem islamischen Kopftuch. So wollen die vier Frauen künftig an den Sitzungen der Nationalversammlung teilnehmen.

Sie brechen damit ein Tabu. Der islamisch-konservative Ministerpräsident Tayyip Erdogan dürfte sich darüber freuen. Erst Ende September hatte er im Rahmen seines „Demokratiepakets“ das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst aufgehoben. Schneller als erwartet hält der Türban jetzt auch im Parlament Einzug. Erdogan sieht darin eine „Befreiung“, die Korrektur von „Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten“.

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Die Gegner des Premiers interpretieren die Zulassung des Kopftuchs als weiteren Schritt in Erdogans mittlerweile gar nicht mehr so „geheimer Agenda“, der Umgestaltung der Türkei zu einem islamischen Gottesstaat.

Bisher nicht ausdrücklich verboten

Zwar war das Tragen von Kopftüchern im Parlament bisher nicht ausdrücklich verboten. Aber das bis Ende September geltende Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst wurde auch auf die Nationalversammlung angewendet. Ein Kopftuch im Parlament: Zuerst hatte das 1999 Merve Kavakci versucht, eine Abgeordnete der islamistischen Tugendpartei, der damals auch Erdogan angehörte. Als sie zu ihrer Vereidigung mit Kopftuch erschien, brachen Tumulte im Parlament aus. „Raus, raus“ brüllten männliche Abgeordnete, Kavakci verließ weinend den Saal. Wenig später wurde ihr die türkische Staatsbürgerschaft aberkannt, sie verlor ihren Sitz im Parlament und wanderte in die USA aus, wo sie heute als Professorin an der George Washington University in Washington D.C. lehrt. Die Kavakci-Affäre trug dazu bei, dass die Tugendpartei 2001 als verfassungsfeindlich verboten wurde.

Anders als 1999, kam es diesmal nicht zu Tumulten. Ruhsar Demirel, eine Abgeordnete der nationalistischen Partei MHP, sprach trotz des historischen Auftritts ihrer vier Kolleginnen sogar von einem „ganz normalen Tag im Parlament“. Die Kopftuchträgerin Nurcan Dalbudak fühlt sich nicht nur von ihrer Pilgerfahrt nach Mekka inspiriert, auch die „gesellschaftlichen Bedingungen“ in der Türkei seien für das Kopftuch im Parlament „jetzt reif“, erklärte die Abgeordnete. Parlamentspräsident Cemil Cicek (AKP) und Ministerpräsident Erdogan sehen es genauso. Hinderungsgründe, das Kopftuch im Parlament zu tragen, gibt es nach ihrer Ansicht nicht, weder in den Gesetzen noch in der Geschäftsordnung der Nationalversammlung.

Warnung vor "Überreaktionen"

Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP), die in der Tradition des Republikgründers Atatürk steht und die strikte Trennung von Staat und Religion verteidigt, ist in der Kopftuchfrage gespalten. Einige CHP-Abgeordnete zeigen sich tolerant. Andere sind strikt gegen den Türban. Sie werfen der regierenden AKP vor, sie instrumentalisiere die Religion.

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Der CHP-Politiker Muharrem Ince warf den vier Kopftuchträgerinnen vor, sie hätten sich nur für den Türban stark gemacht, sich aber niemals für Frauenrechte eingesetzt. CHP-Vizefraktionssprecher Egin Altay ist ebenfalls gegen das Kopftuch. Schließlich könnten weibliche Abgeordnete auch nicht im Minirock, in Shorts oder mit der Burka ins Parlament kommen, sonst herrsche bald „Kleideranarchie“ im Plenum.

CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu scheint allerdings zu ahnen, dass der Zug längst abgefahren ist. Er warnte seine Abgeordneten jetzt vor „Überreaktionen“ gegen Kopftuchträgerinnen im Parlament. Wenn es zum Konflikt komme und die Kopftuchträgerinnen als Opfer dastünden, werde das nur der islamischen AKP in die Hände spielen, fürchtet der Oppositionsführer. Mit Spannung erwarten Beobachter jetzt, wie viele weitere weibliche AKP-Abgeordnete künftig mit dem Türban im Parlament erscheinen – und ob womöglich auch Politikerinnen anderer Parteien das Kopftuch anlegen.