Berlin/Moskau. Monatelang war Edward Snowden untergetaucht - jetzt meldet er sich mit einem Paukenschlag zurück. Drei Stunden lang traf der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele den 30-jährigen US-“Staatsfeind Nummer eins“. Und auch die Bundesregierung hat bereits Gesprächsbereitschaft signalisiert.
Der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden sieht sich durch die internationale Debatte über amerikanische Ausspähaktionen in seinem Handeln bestätigt. Das geht aus einem Brief Snowdens an die Bundeskanzlerin, den Generalbundesanwalt und den Bundestag hervor, den der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele am Freitag in Berlin veröffentlichte. Ströbele hatte Snowden am Donnerstag in Moskau getroffen.
"Der Nutzen für die Gesellschaft aus diesen gewonnenen Erkenntnissen wird zunehmend klarer; gleichzeitig wurden die in Kauf genommenen Risiken sichtlich vermindert", heißt es in dem Brief. Snowden erklärte sich bereit, zur Aufklärung der Spionageaffäre beizutragen. "Ich freue mich auf ein Gespräch mit Ihnen in Ihrem Land, sobald die Situation geklärt ist und danke Ihnen für Ihre Bemühungen, das internationale Recht zu wahren."
Snowden teilt in dem Brief mit, dass er sich durch die internationale Reaktion auf die Veröffentlichung der von ihm von der NSA entwendeten Dokumente über Ausspähaktionen "ermutigt" sehe. "Diese Spionage-Enthüllungen zogen viele Vorschläge zu neuen Gesetzen und Richtlinien nach sich, die auf den vormals verdeckten Missbrauch des öffentlichen Vertrauens abzielten", heißt es in einer deutschen Übersetzung des Briefes. Er habe die moralische Pflicht zum Handeln gesehen. Als Folge der Veröffentlichungen sehe er sich aber einer "schwerwiegenden und anhaltenden Hetze ausgesetzt". Deshalb sei er nach Moskau gereist, wo er ein befristetes Asyl genieße.
Treffen mit Snowden seit Monaten vorbereitet
Das Überraschungstreffen des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele mit dem Geheimdienst-Enthüller Edward Snowden in Russland hatte eine monatelange Vorgeschichte. "Sie alle wissen, dass seit Juni alle Welt von Edward Snowden redet", sagte Ströbele am Freitag in Berlin. "Da hab ich von Anfang an im Juni schon die Frage gestellt, warum fragt man ihn nicht einfach selbst."
Seiner entsprechenden Aufforderung unter anderem an die Bundesregierung sei niemand nachgekommen. "Da hab ich gedacht, da versuch ich's selbst mal", sagte Ströbele. "Ich habe deshalb keinen Urlaub gehabt, weil ich immer auf einer gepackten Tasche saß." Der zunächst abgebrochene Kontakt sei erst kürzlich erneuert worden.
Regierung signalisiert Gesprächsbereitschaft
Die Bundesregierung hat Snowden nach seinem Treffen mit Ströbele in Moskau ihre Gesprächsbereitschaft signalisiert. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte am Freitag in Berlin: "Wir werden Möglichkeiten finden, wenn Herr Snowden bereit ist, mit deutschen Stellen zu sprechen, dass auch dieses Gespräch möglich ist." Wer ein solches Gespräch führen sollte, ließ er allerdings offen.
Snowden könnte von deutschen Vertretern laut seinem Anwalt nur in Russland befragt werden. Snowden werde das Land nicht verlassen, das ihm Asyl gewährt hat, sagte Anwalt Anatoli Kutscherena am Freitag dem Radiosender Moskauer Echo. Er könne aber "im Rahmen internationaler Vereinbarungen in Russland aussagen", wenn deutsche Stellen dies wünschten.
Bundesinnenminister Friedrich: "Jede Aufklärung ist gut"
"Wenn die Botschaft heißt, Herr Snowden will uns Informationen geben, dann nehmen wir das gerne auf", sagte Friedrich: "Jede Aufklärung, alles, was wir an Informationen und Fakten bekommen können, ist gut" Die Bundesregierung sei dankbar für alle Informationen, "egal ob durch Herrn Ströbele oder Briefe oder sonstwas", sagte der CSU-Politiker. (rtr/dpa)
"Ich heiße Edward Joseph Snowden" - der Brief an deutsche Behörden
Das Schreiben hat nach einer von Ströbele verbreiteten Übersetzung folgenden Wortlaut:
"An die Zuständigen
Ich wurde gebeten, Ihnen bezüglich Ihrer Untersuchung zur Massenüberwachung zu schreiben.
Ich heiße Edward Joseph Snowden und war früher vertraglich bzw. über eine Direktanstellung als technischer Experte bei der National Security Agency (NSA), der Central Intelligence Agency (CIA) und der Defense Intelligence Agency (DIA) der Vereinigten Staaten beschäftigt.
Im Zuge meiner Beschäftigung in diesen Einrichtungen wurde ich Zeuge systematischer Gesetzesverstöße meiner Regierung, die mich aus moralischer Pflicht zum Handeln veranlassten. Als Ergebnis der Veröffentlichung dieser Bedenken sah ich mich ich einer schwerwiegenden und anhaltenden Hetze ausgesetzt, die mich zwang, meine Familie und meine Heimat zu verlassen. Ich lebe derzeit im Exil und genieße befristetes Asyl, das mir die Russische Föderation gemäß internationalem Recht gewährt.
Ich bin ermutigt von der Resonanz auf mein politisches Handeln, sowohl in den USA als auch anderswo. Bürger auf der ganzen Welt und auch hohe Amtsträger - einschließlich der Vereinigten Staaten - haben die Enthüllungen zu einem System der allumfassenden Überwachung, das niemandem Rechenschaft schuldig ist, als einen Dienst an der Öffentlichkeit beurteilt. Diese Spionage-Enthüllungen zogen viele Vorschläge zu neuen Gesetzen und Richtlinien nach sich, die auf den vormals verdeckten Missbrauch des öffentlichen Vertrauens abzielten. Der Nutzen für die Gesellschaft aus diesen gewonnenen Erkenntnissen wird zunehmend klarer; gleichzeitig wurden die in Kauf genommenen Risiken sichtlich vermindert.
Obwohl das Ergebnis meiner Bemühungen nachweislich positiv war, behandelt meine Regierung Dissens nach wie vor als Treuebruch und strebt danach, politische Meinungsäußerung zu kriminalisieren und unter Anklage (zu) stellen. Dennoch: Die Wahrheit auszusprechen ist kein Verbrechen. Ich bin zuversichtlich, dass die Regierung der Vereinigten Staaten mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft diese abträgliche Haltung ablegen wird. Ich hoffe, dass ich, wenn die Schwierigkeiten dieser humanitären Lage beigelegt sind, in der Lage sein werde, mich an der verantwortungsvollen Aufklärung der Sachverhalte bezüglich der in den Medien getätigten Aussagen, insbesondere im Hinblick auf Wahrheit und Authentizität der Berichte, angemessen und gesetzesgemäß zu beteiligen.
Ich freue mich auf ein Gespräch mit Ihnen in Ihrem Land, sobald die Situation geklärt ist und danke Ihnen für ihre Bemühungen, das internationale Recht zu wahren, das uns alle beschützt.
Mit besten Grüßen
gez. Edward Snowden bezeugt durch Hans-Christian Ströbele"