Dortmund. . Groß gefeiert wurde der gesetzliche Anspruch auf Betreuungsplätze für unter 3-Jährige. Seit dem 1. August müssen die Kindertagesstätten Eltern diese Plätze zur Verfügung stellen. Der Ausbau scheint geklappt zu haben. Doch während alle über Quantität sprachen, hat niemand auf die Qualität geachtet.

Am Ende des Tages ist sie platt. Sie hat keine Nerven mehr – manchmal nicht mal für die eigenen Kinder. Dabei ist sie doch Erzieherin. Nach 23 Jahren im Job und einem intensiver werdenden Berufsalltag sagt die 44-Jährige: „Das schlaucht. Die Eltern sind mit sich selbst beschäftigt. Die geben ihre Kinder hier ab und überlassen uns die Erziehung.“ Das trifft für immer mehr Kinder zu, denn der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige macht sich vor allem in Zahlen bemerkbar. Während der Personalschlüssel gleich blieb, wurden die Gruppenstärken erhöht.

Wer sich folgende Gruppe eines Familienzentrums im Dortmunder Norden anschaut, in der die hier zu Wort kommenden Erzieherinnen arbeiten, kommt ins Grübeln. 20 Mädchen und Jungen, die zwischen drei und sechs Jahre alt sind, haben bereits Diagnosen oder/und kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen: Vier Kinder werden vom Jugendhilfedienst betreut, weil sich die Eltern nicht angemessen kümmern können. Ein Kind ist behindert, also ein Integrationskind.

Vier sind Migranten, sieben wachsen bei nur einem Elternteil auf, sieben benötigen Logopädie, vier Ergotherapie und ein Kind muss psycho-motorisch gefördert werden. Betreut werden sie von einer Erzieherin, einer Pflegerin und einer 30-Stunden-Kraft. Urlaub, Krankheit und Fortbildung machen aus diesem Dreier-, mehrheitlich ein Zweier-Team. Nachmittags ändert sich die Gruppenstruktur. Dann kommen noch unter Dreijährige mit Wickelbedarf dazu. Noch Fragen?

"Zwei Kinder auf dem Arm, eines am Bein"

Eigentlich sollen die Mädchen und Jungen ja gefördert werden. Eigentlich. Aber wie funktioniert das, wenn 20 Kinder unterschiedliche Förderbedarfe haben oder eher das Bedürfnis nach Nähe verspüren? Was tun, wenn fünf Kinder gleichzeitig weinen, drei mal eben gewickelt werden müssen und zwei Kinder sich streiten.

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„Ganz schwierig. Manchmal hast du zwei Kinder auf dem Arm, eines am Bein und dann führst du noch ein Elterngespräch. Der Zeitdruck ist enorm“, sagt eine andere Erzieherin, die selbst Mutter ist und unerkannt bleiben möchte. Ja, man versuche zu fördern, aber eigentlich könne man ganz häufig niemandem gerecht werden. „Dann ist man froh, wenn ein Kind still mitläuft. Was natürlich gar nicht sein sollte.“

Beschwerden überlasteter Erzieherinnen häufen sich

Viele Jungen und Mädchen haben so einen großen Rucksack mit Ängsten und Sorgen auf dem Rücken, dass es manchmal nicht zum Aushalten ist. ,,Kannst du nicht meine Mami sein?“, wird die Erzieherin häufig gefragt. Von kleinen Menschen, die ein blaues Auge geschlagen bekommen haben oder andere Male an ihrem Körper tragen. Beigebracht von den eigenen Eltern. Sexueller Missbrauch: ebenfalls ein großes Thema.

Die Erzieherin erläutert die ,,Mogelpackung, mit der die Landesregierung uns weismachen will, dass wir jetzt mehr Leute zur Verfügung haben.“ Bei Einführung des Kinderbildungsgesetzes im Jahre 2009 habe man Personal abgebaut, das man jetzt wieder aktiviere.

„Von wegen mehr Personal“, pflichtet auch Martin Steinmetz bei, Gewerkschaftssekretär bei Verdi. Bei ihm häufen sich die Beschwerden von überlasteten Erzieherinnen. „Die sind arm dran. Letztlich von allen im Stich gelassen. Auch von Eltern, die ihre Kinder abgeben und erziehen lassen wollen.“ Am liebsten 24 Stunden am Tag.

Eltern vergessen, ihre Kinder abzuholen

„Oft vergessen Eltern ihre Kinder abzuholen. Oder fragen nach mehr als 45 Stunden Betreuung“, berichtet die Kindergärtnerin. Inzwischen gebe es auch schon Kitas, die 60 Stunden anböten. „Ja der Bedarf ist da“, sagt sie. Aber sie und ihre Kollegin sind sich einig: So etwas geht nur mit mehr Personal.

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Wie überlastet die Frauen sind, zeigt nach Angaben von Verdi ein steigender Krankenstand. Tinnitus, Burn-out häuften sich dramatisch. Viele Frauen gingen vorzeitig in Rente und verzichteten auf Geld. „Die können nicht mehr“, sagt Steinmetz. Inzwischen gibt es in Dortmund einen Arbeitskreis ,,Psychische Belastung am Arbeitsplatz.“

Es fehlen sogar Wickelkommoden

Insgesamt wünschen sich die Erzieherinnen eine Aufwertung ihres Berufs. Auch mehr Anerkennung. Sie fordern eine bessere Bezahlung, bessere Fortbildung, feste Pausen (manchmal besteht die aus einem Toilettengang) und vor allem: mehr Personal oder kleinere Gruppen. Und sie wünschen sich für manche Einrichtung Wickeltische. ,

,Tja, da bieten sie an, schon die Kleinsten aufzunehmen, haben aber keine entsprechenden Möbel. Da werden die Kinder auf dem Boden gewickelt.“ Für die Frauen eine echte Tortur. „Dass wir älter werden, daran denkt niemand.“ Und trotzdem bemühen sie sich, ihren Job zu schaffen. Irgendwie.