Brüssel. . Das EU-Parlament hat am Donnerstag grünes Licht für das neue Überwachungssystem „Eurosur“ gegeben. Ein Daten-Netz, dem künftig kein Schritt über die Grenze verborgen bleiben soll. Nach der Lampedusa-Katastrophe versuchen einige, es zur humanitären Maßnahme zu stilisieren.

Im Namen steckt der Hauptzweck: Beim „europäischen Grenzüberwachungssystem Eurosur“ steht „-sur“ für surveillance, Überwachung. Entsprechend soll Eurosur in erster Linie der Sicherheit der Grenze dienen. Im Angesicht der Flüchtlingskatastrophe vor der Mittelmeerinsel Lampedusa ist das Europa-Parlament nun allerdings bemüht, auch den humanitären Wert der neuen Einrichtung herauszustreichen.

Die Abgeordneten verabschiedeten am Donnerstag in Straßburg mit großer Mehrheit die Rechtsgrundlage für Eurosur, das im Dezember starten soll. Nur die Grünen und die Linke stimmten dagegen. Damit ist das Gesetzgebungsverfahren nach insgesamt fünf Jahren abgeschlossen. Die letzte Etappe war eigentlich Routine, erst Lampedusa und die Frage: Was tut eigentlich die EU, um solche Tragödien zu verhindern? hatten ein breiteres Interesse an Eurosur geweckt.

Das Hauptziel heißt: Eindringlinge abfangen

Der niederländische Liberale Jan Mulder, im Parlament federführend zuständig, lässt indes keinen Zweifel daran, dass Eurosur nicht dazu taugt, der ins Zwielicht geratenen europäischen Grenzpolitik auf einen Schlag ein menschliches Angesicht zu verleihen. „Das Hauptziel ist, dass wir einen Rahmen schaffen, so dass alle Mitgliedstaaten unmittelbar über alles informiert werden, was an den Außengrenzen passiert.“ Der Gesetzestext nennt das „illegale grenzüberschreitende Aktivitäten“. Dabei, sagt Mulder, soll es nun nicht allein darum gehen, Schlepper- und Gangsterbanden das Handwerk zu legen und illegale Eindringlinge abzufangen, sondern auch Menschenleben zu retten.

Als untereinander grenzfreier Raum teilen die EU-Staaten das Interesse an Kontrolle der Außengrenzen. Praktische Hilfe leistet dabei die in Warschau angesiedelte EU-Agentur Frontex, etwa mit Patrouille-Booten an besonderen Schwachstellen im Mittelmeer. Zuständig für die Grenzüberwachung ist der jeweilige Mitgliedstaat. Doch die rund 50 nationalen Behörden sind technisch und organisatorisch nicht auf Zusammenarbeit ausgelegt. Diese Lücke soll Eurosur in Form eines Netzes aus nationalen Kooperationszentren schließen.

Auch EU-Dienststellen wie das Satelliten-Zentrum oder die EU-Agenturen für Meeressicherheit und Fischereikontrolle sollen Daten einspeisen. Die EU-Büros in Nachbarländern fungieren als Frühwarnstellen. Ziel ist es, allen EU-Staaten und Frontex ständig ein möglichst aktuelles und umfassendes Bild von jedem Abschnitt der Grenze zu geben – besonders von jenen im Süden und Osten der Union.

Hätte Eurosur die Lampedusa-Katastrophe verhindert?

Vor Lampedusa sank am 3. Oktober ein libyscher Kutter mit über 500 Menschen aus Somalia und Eritrea an Bord. Bis Donnerstag waren 309 Leichen geborgen, darunter nach Angaben des italienischen Fernsehens ein Neugeborenes, das noch über die Nabelschnur mit der Mutter verbunden war. Hätte dieses Unglück mit Eurosur verhindert werden können? Jan Mulder ist vorsichtig: „Vielleicht wäre das Boot früher entdeckt worden und man hätte früher eingreifen können.“

EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström ist jedenfalls voll des Lobes: „Eurosur wird einen bedeutsamen Beitrag zum Schutz unserer Außengrenzen leisten und helfen, das Leben derer zu retten, die sich in Gefahr begeben, um die Küsten Europas zu erreichen.“ Aus Sicht der Kritiker ist das Heuchelei. Die Grünen erklärten: „Lebensrettung steht nur drauf, ist aber nicht drin in Eurosur.“ Und die Linke schimpfte, Eurosur sei vor allem dies: „Ein 340 Millionen Euro teures Investitionsprogramm für die Rüstungsindustrie“.