Moskau/Den Haag. Nach dem Greenpeace-Protest in der Arktis hat ein russisches Gericht die Untersuchungshaft für mehrere der Aktivisten verlängert. Die Ermittler haben auch für die übrigen 29 Festgenommenen U-Haft gefordert. Die Niederlande haben unterdessen die sofortige Freilassung der Aktivisten verlangt.
Nach der Erstürmung eines Greenpeace-Schiffs durch russische Sicherheitskräfte ist die Untersuchungshaft für mindestens acht Aktivisten der Organisation verlängert worden. Ein Gericht in Murmansk im Nordwesten Russlands habe entschieden, dass der russische Fotograf Denis Sinjakow und sein Landsmann Roman Dolgow mindestens zwei Monate in U-Haft bleiben, berichteten Greenpeace und die russische Nachrichtenagentur Interfax. Es bestehe Fluchtgefahr, da beide häufig im Ausland unterwegs seien. Auch der Kanadier Paul Ruzycki müsse für zwei Monate hinter Gitter, sagte die Greenpeace-Sprecherin Tatjana Wassiljewa.
Nach Angaben von Greenpeace wurde bis zum Donnerstagnachmittag für acht Umweltschützer die Verlängerung der zunächst 48-stündigen U-Haft bis zum 24. November angeordnet. Es handelte sich demnach um jeweils zwei Aktivisten aus Russland und aus Neuseeland, jeweils einen aus Frankreich, Polen und Kanada sowie den Kapitän des Schiffs, Peter Willcox aus den USA. Dieser war bereits Kapitän des Greenpeace-Schiffs "Rainbow Warrior", auf das der französische Geheimdienst 1985 einen Bombenanschlag im neuseeländischen Hafen von Auckland verübte.
Für den russischstämmigen Schweden Dmitri Litvinov wurde die U-Haft auf 72 Stunden festgesetzt. Zur Begründung hieß es der Nachrichtenagentur Interfax zufolge, er sei Vater eines kleinen Kindes.
Die Ermittlungsbehörde will alle 30 Festgenommenen in U-Haft nehmen lassen. Behördensprecher Wladimir Markin schloss aber eine mildere Maßnahme nicht aus. Die Justiz ermittelt nach dem Protest an einer russischen Ölplattform im Nordpolarmeer wegen bandenmäßiger Piraterie. Dafür drohen bis zu 15 Jahre Haft. Sie waren zunächst in eine 48-stündige Untersuchungshaft genommen worden. Wann der eigentliche Prozess stattfindet, ist noch offen.
"Arctic Sunrise" fährt unter niederländischer Flagge
Die Niederlande verlangen unterdessen die sofortige Freilassung der in der Arktis festgenommenen Greenpeace-Aktivisten. Die russischen Behörden seien aufgefordert worden, das Schiff der Umweltschützer freizugeben und die Besatzung aus der Untersuchungshaft zu entlassen, erklärte Außenminister Frans Timmermans am Mittwoch in einem Brief an das Parlament in Den Haag. Seine Regierung verlange Klarheit über die gesetzliche Grundlage des Eingreifens der russischen Sicherheitskräfte und darüber, wieso Den Haag nicht über die Erstürmung des Schiffes in Kenntnis gesetzt worden sei. Die "Arctic Sunrise" fährt unter niederländischer Flagge.
Dem Brief zufolge diskutierte Timmermans über den Vorfall am Mittwoch auch mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow am Rande der UN-Generaldebatte in New York. Abhängig von den Informationen, die Moskau liefere, behielten sich die Niederlande rechtliche Schritte und den Gang vor den Internationalen Seegerichtshof vor, fügte der Außenminister hinzu.
Bürgerrechtler fordern Freiheit für die "Arctic 30"
In Moskau protestierten Umweltschützer und Kremlgegner vor der Ermittlungsbehörde. Auch Bürgerrechtler forderten die Freilassung der "Arctic 30", wie Greenpeace die Aktivisten im Internet nennt. Weltweit forderten fast 500.000 Menschen in Mails an russische Botschaften Freiheit für die Festgenommenen. In Bulgarien wurden sechs Greenpeace-Aktivisten festgenommen, die aus Solidarität mit den Inhaftierten eine Gazprom-Tankstelle bei Blagoewgrad blockieren wollten.
Marieluise Beck von der Grünen-Bundestagsfraktion erklärte, die Vorwürfe zeigten, wie weit Russland von einem Rechtsstaat entfernt sei. Der Europaparlamentarier Werner Schulz (Grüne) kritisierte, das Vorgehen belege "die Degradierung der russischen Justiz als Werkzeug" des Kremlchefs Wladimir Putin.
Russisches Staatsfernsehen überträgt live aus dem Gerichtsaal
Die Umweltschützer waren mit der "Arctic Sunrise" zu einer Ölbohrplattform des russischen Energieriesen Gazprom in der Barentssee gefahren. Zwei Aktivisten aus der Schweiz und Finnland versuchten, auf die Plattform zu gelangen, um auf die Gefahren durch die Gas- und Ölförderung in der Arktis aufmerksam zu machen. Sie stürzten aber und wurden von der russischen Küstenwache aus dem Wasser gezogen. Am nächsten Tag stürmte die russische Küstenwache, die dem Inlandsgeheimdienst FSB untersteht, die "Arctic Sunrise" und brachte das Schiff samt Besatzung nach Murmansk.
"Sie haben geplant, die Ölplattform zu besetzen mit dem Ziel, die Kontrolle darüber zu erlangen", warf der namentlich nicht genannte Ermittler den Umweltschützern vor. Greenpeace hingegen betont, die Aktivisten hätten friedlich und aus Protest gegen Ölbohrungen in der Arktis ein Transparent an der Plattform des Staatskonzerns Gazprom in der Petschorasee, einem Randmeer der Barentssee, anbringen wollen.
Die Aktivisten seien in Handschellen in den Saal geführt worden, teilte die Organisation über Twitter mit. Dort mussten sie - wie in Russland üblich - in einem Käfig die Verhandlung verfolgen. Die Aktivisten wurden in sechs Gruppen jeweils einem Richter zugeteilt. Die Umweltorganisation sprach von einem historischen Prozess. Das Staatsfernsehen übertrug live aus dem Gerichtsaal.
Die "einzige gesetzliche Entscheidung" wäre ein Freispruch, sagte Dmitri Artamonow von Greenpeace. Auch Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki Gruppe forderte die Freilassung der Aktivisten aus 18 Ländern. "Sonst droht ein internationaler Skandal. Es sind weder Terroristen noch Piraten", sagte die bekannte Bürgerrechtlerin. Der russische Ombudsmann für die Menschenrechte, Wladimir Lukin, forderte das Gericht auf, keine Kollektivstrafe zu verhängen. (afp/dpa)