Berlin. . Steuerpläne, „Veggie Day“ und Pädophilendebatte kosteten Sympathien. Die Kernthemen Umwelt und Energiewende kamen im Wahlkampf zu kurz. Vor allem Jürgen Trittin steht im Kreuzfeuer der Kritik. Nun droht dem 59-Jährigen als Fraktionschef das politische Aus.
Es ist ein bitterer Gang für Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin. Konsterniert betreten die beiden grünen Spitzenkandidaten die Bühne. Kurzes Winken, knapper Applaus der Basis, dann redet Göring-Eckardt Klartext: „Wir haben unsere Ziele nicht erreicht“, sagt die Spitzengrüne, fordert eine „sehr ehrliche und klare Analyse“ und prophezeit: „Das wird eine schwere Zeit für uns.“
Wohl wahr. Denn das Ergebnis der Bundestagswahl ist für die Grünen eine brutale Schlappe. Als gegen 18 Uhr die erste Prognose über die Leinwand flimmert, brandet in der Columbiahalle nur einmal Jubel auf: über das Debakel der FDP. Dann das eigene Ergebnis: 8,0 Prozent. Stöhnen, ein kollektives Oje und Schweigen.
Mittelstand vergrätzt
Mit solch einer Klatsche hätte bis vor kurzem niemand gerechnet – nach den Höhenflügen der vergangenen Jahre. Dank Fukushima waren die Grünen 2011 in den Umfragen auf bis zu 28 Prozent empor geschnellt. Von der neuen Volkspartei war die Rede. Ein besseres Ergebnis als bei der Bundestagswahl 2009 mit 10,7 Prozent schien eine Formsache zu sein. Pustekuchen! Denn mit dem Parteitag Ende April rückten die Steuerpläne in den Mittelpunkt. Von da an mussten die Grünen gegen Vorwürfe ankämpfen, wonach sie den Mittelstand schröpfen.
Heute ist klar, dass sie mit ihren Steuerplänen auf das falsche Pferd gesetzt haben. Man habe im Wahlkampf Klimaschutz und Energiewende „nicht ausreichend“ nach vorn gestellt, sagt NRW-Grünenchef Sven Lehmann. Die Pädophilendebatte und die Forderung nach einem „Veggie Day“ in Kantinen kosteten weitere Sympathien.
Herbe Niederlage
Nun sind die Grünen auf dem Boden der Tatsachen angekommen. „Das ist eine herbe Niederlage“, sagt Tübingens Oberbürgermeister und Realo Boris Palmer dieser Zeitung. „Wir sollten die Ursachen nicht bei anderen suchen, sondern bei uns selbst.“
Parteichefin Claudia Roth kündigt „Konsequenzen“ an, während Co-Chef Cem Özdemir sich am frühen Abend noch an den Strohhalm klammert, der Union möge es doch nicht zur Alleinregierung reichen. Mit wem an Bord die Kanzlerin regieren sollte, lässt Özdemir offen. Vielleicht mit den Grünen? Bei Sondierungen sei man „immer dabei“, meint Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann kurz nach sechs Uhr.
Die Grünen stehen nun vor einem grundlegenden Umbruch und einer heftigen Strategiedebatte. Dabei geht es um die Frage, wie sie es in Zukunft mit Schwarz-Grün halten und ob sie sich wieder stärker in die Mitte bewegen. Hier dürfte der Realoflügel Morgenluft wittern, der die umstrittenen Steuerpläne und den Linksruck der Partei teils zähneknirschend mitgetragen hat.
Trittin im Kreuzfeuer
Die Positionierung der Ökopartei geht vor allem auf das Konto von Jürgen Trittin, der nun massiv im Kreuzfeuer der Kritik stehen wird. Bis vor kurzem war der Ex-Umweltminister der mächtigste Grüne seit Joschka Fischer und peilte den Vizekanzler und das Finanzministerium an. Nun droht dem 59-Jährigen als Fraktionschef das politische Aus.
Vom linken Flügel könnte ihn der Finanzfachmann Gerhard Schick oder der Verkehrspolitiker Anton Hofreiter beerben. Co-Chefin Renate Künast könnte für Göring-Eckardt, der der Wind ebenfalls rau ins Gesicht blasen dürfte, Platz machen oder für Wirtschaftsexpertin Kerstin Andreae.
Trittin selbst fasst sich nach der Wahlschlappe kurz. Man werde sich gemeinsam der bitteren Realität stellen. Erneut verteidigt er das Steuerkonzept. Dürftiger Applaus. Am Ende dankt Özdemir dem Spitzenduo reichlich schmallippig für einen „engagierten Wahlkampf“. Rückhalt klingt anders.
Gewinner und Verlierer