Berlin. . Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik sind die Liberalen aus dem Bundestag geflogen. Es ist das Ende einer Ära: Die Partei war mehr als 40 Jahre lang an Bundesregierungen beteiligt. Parteichef Rösler übernimmt die Verantwortung.

Nach der historischen Wahlniederlage der FDP hat Parteichef Philipp Rösler politische Konsequenzen angekündigt. „Das ist die bitterste, die traurigste Stunde in der Geschichte dieser Freien Demokratischen Partei“, sagte er nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen in Berlin. Er habe in schwieriger Zeit die Führung der Partei übernommen und trotz einiger gewonnener Landtagswahlen sei es ihm nicht gelungen, einen Aufbruch für die Bundestagswahl zu erzeugen, so Rösler Und weiter: „Deshalb werde ich persönlich natürlich auch politisch dafür die notwendige Verantwortung übernehmen.“

Der Schock sitzt an diesem Abend tief bei den Liberalen – nach 14,6 Prozent 2009 landeten sie diesmal in den ersten Hochrechnungen bei weniger als fünf Prozent. Von der Regierungspartei zur außer­parlamentarischen Opposition. Mehr Absturz geht nicht.

Gewinner und Verlierer

Schwarz-Gelb erlebt Triumph und Absturz: Während die Union mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ...
Schwarz-Gelb erlebt Triumph und Absturz: Während die Union mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ... © REUTERS
... bei der Bundestagswahl am Sonntag ...
... bei der Bundestagswahl am Sonntag ... © REUTERS
... klar stärkste Kraft wurde,
... klar stärkste Kraft wurde, © dpa
... verpasste die FDP erstmals den Einzug in den Bundestag.
... verpasste die FDP erstmals den Einzug in den Bundestag. © dpa
Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis erhielten CDU und CSU zusammen 41,5 Prozent der Stimmen (plus 7,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2009).
Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis erhielten CDU und CSU zusammen 41,5 Prozent der Stimmen (plus 7,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2009). © dpa
Merkel sprach von einem
Merkel sprach von einem "super Ergebnis" und bedankte sich für das Vertrauen der Wähler. Zugleich ... © Getty Images
... sicherte sie mit Blick auf die neue Stärke der Union zu:
... sicherte sie mit Blick auf die neue Stärke der Union zu: "Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen". © AFP
Ihr bisheriger Bündnispartner FDP hingegen scheiterte mit 4,8 Prozent (minus 9,8) an der Fünfprozenthürde und wird zum ersten Mal seit Bestehen des Bundestags nicht im Parlament vertreten sein.
Ihr bisheriger Bündnispartner FDP hingegen scheiterte mit 4,8 Prozent (minus 9,8) an der Fünfprozenthürde und wird zum ersten Mal seit Bestehen des Bundestags nicht im Parlament vertreten sein. © REUTERS
Entsetzen herrschte bei der FDP. Parteichef Philipp Rösler ...
Entsetzen herrschte bei der FDP. Parteichef Philipp Rösler ... © dpa
... kündigte politische Konsequenzen an.
... kündigte politische Konsequenzen an. "Das ist die bitterste, die traurigste Stunde in der Geschichte dieser Freien Demokratischen Partei", sagte er. © Getty Images
"Es sei "eine schlimme Stunde für die FDP", ergänze Spitzenkandidat und Fraktionschef Rainer Brüderle. © dpa
Die FDP hatte bis zuletzt um Leihstimmen von Unions-Anhängern geworben, Merkel hatte dies jedoch abgelehnt.
Die FDP hatte bis zuletzt um Leihstimmen von Unions-Anhängern geworben, Merkel hatte dies jedoch abgelehnt. © AFP
Zweitstärkste Kraft mit deutlichem Abstand zur Union wurde die SPD mit 25,7 Prozent der Stimmen (plus 2,7).
Zweitstärkste Kraft mit deutlichem Abstand zur Union wurde die SPD mit 25,7 Prozent der Stimmen (plus 2,7). © dpa
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, seine Partei habe
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, seine Partei habe "nicht das Ergebnis erzielt, das wir wollten". Er gratulierte ebenso ... © dpa
...wie SPD-Chef Sigmar Gabriel der Kanzlerin zu ihrem Wahlsieg.
...wie SPD-Chef Sigmar Gabriel der Kanzlerin zu ihrem Wahlsieg. © dpa
"Wir haben verloren. Das ist bittere Realität", sagte Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin. © Getty Images
Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt kündigte eine
Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt kündigte eine "klare und sehr ehrliche Analyse" an. Koalitionsspekulationen ... © dpa
... lehnte auch Trittin ab, sagte aber:
... lehnte auch Trittin ab, sagte aber: "Wir machen das von der Sache abhängig." © Getty Images
Linksfraktionschef Gregor Gysi verwies darauf, dass seine Partei ...
Linksfraktionschef Gregor Gysi verwies darauf, dass seine Partei ... © dpa
... trotz Verlusten die drittstärkste Kraft im neuen Bundestag sei.
... trotz Verlusten die drittstärkste Kraft im neuen Bundestag sei. © dpa
Partei- und Fraktionsvize Sahra Wagenknecht sagte der Online-Ausgabe der
Partei- und Fraktionsvize Sahra Wagenknecht sagte der Online-Ausgabe der "Mitteldeutschen Zeitung", Linke und SPD könnten nun Partner sein. Dafür müssten die Sozialdemokraten allerdings ihren "Agenda-2010-Kurs" beenden. Ihre Partei werde nicht zu Gesprächen auffordern - "die SPD muss auf uns zukommen", sagte Wagenknecht. © dpa
AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke wertete das Ergebnis seiner Partei als Denkzettel für ...
AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke wertete das Ergebnis seiner Partei als Denkzettel für ... © Getty Images
... die etablierten Parteien.
... die etablierten Parteien. "Wir haben hier ein kräftiges Zeichen des Widerspruchs gesetzt", sagte er. Die AfD will den Austritt Deutschlands aus der europäischen Währungsunion. © REUTERS
Die Wahlbeteiligung lag bei 71,5 Prozent und damit 0,7 Prozentpunkte höher als vor vier Jahren. Insgesamt konnten sich 61,8 Millionen Wahlberechtigte zwischen 34 Parteien entscheiden.
Die Wahlbeteiligung lag bei 71,5 Prozent und damit 0,7 Prozentpunkte höher als vor vier Jahren. Insgesamt konnten sich 61,8 Millionen Wahlberechtigte zwischen 34 Parteien entscheiden. © dpa
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Christian Lindner, der noch im vergangenen Jahr bei der Landtagswahl in NRW die Liberalen vor dem Sturz in die Bedeutungslosigkeit ­bewahrt hatte, ist einer der ersten, die an diesem Abend vor die Journalisten treten. „Dies ist die bitterste Stunde für die FDP seit 1949“, sagt Lindner. Noch nie waren die Libe­ralen an der Fünf-Prozent-Hürde und damit am Einzug in den ­Bundestag gescheitert.

Der FDP steht nach diesem Ergebnis ein Neuanfang bevor – personell wie inhaltlich. Die Niederlage sei „grundlegend und tiefgreifend“, sagt Lindner, der nun von vielen als der künftige starke Mann in der FDP gesehen wird. Allerdings hatte Lindner nach seinem Wahlerfolg in Nordrhein-Westfalen betont, seine politische Zukunft liege bis zur nächsten Landtagswahl 2017 in Düsseldorf.

Das falsche Personal

Diesmal hatte die FDP offenbar nicht das überzeugende Personal für ein gutes Wahlergebnis. Laut den Untersuchungen der Wahl­forscher von der ARD hatte Spitzenkandidat Rainer Brüderle einen ­Beliebtheitswert von minus 0,5. Vor vier Jahren hatte der damalige liberale Spitzenkandidat Guido Westerwelle einen Wert von plus 0,6.

Absturz nach 60 Jahren - Die Geschichte der FDP

1949

Die FDP erzielt bei der Bundestagswahl 11,9 Prozent und verhilft Konrad Adenauer (CDU) zur ersten Kanzlerschaft.

1953

Die Partei rutscht auf 9,5 Prozent ab und regiert weiterhin als stärkster Partner der Union unter Adenauer.

1957

Die Liberalen verlieren auf 7,7 Prozent und gehen in die Opposition

1961

Die FDP legt auf 12,8 Prozent zu und bildet mit der Union die erste rein schwarz-gelbe Regierungskoalition, zunächst unter Adenauer, ab 1963 unter Ludwig Erhard.

1965

Dieses Mal reicht es mit nur 9,5 Prozent zur Fortsetzung des Bündnisses unter Erhard. Ein Jahr später scheidet die FDP aus der Regierung aus, als Union und SPD die erste Große Koalition eingehen.

1969

Mit schwachen 5,8 Prozent ermöglicht die FDP die erste sozial-liberale Koalition unter SPD-Kanzler Willy Brandt. Walter Scheel(FDP) wird Vizekanzler.

1972

Die Liberalen steigern sich auf 8,4 Prozent und können das Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten fortsetzen.

1976

Mit 7,9 Prozent trägt die FDP zur nächsten Runde der sozial-liberalen Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) bei. Der zweite Mann im Kabinett ist Hans-Dietrich Genscher (FDP).

1980

Genschers Partei kommt auf 10,6 Prozent. Die letzten zwei Jahre der SPD/FDP-Koalition bis zum Sturz von Schmidt beginnen.

1983

Nach dem Wechsel auf die Seite der Union im Vorjahr fällt die FDP bei der vorgezogenen Wahl auf 7,0 Prozent zurück. Doch es reicht für eine Koalition. Das christlich-liberale Bündnis unter Helmut Kohl (CDU) hält 16 Jahre.

1987

Die Partei steigert sich auf 9,1 Prozent. Die politische Landschaft bleibt unverändert.

1990

Bei der ersten gesamtdeutschen Wahl stimmen 11,0 Prozent für die Liberalen. FDP-Außenminister Genscher gilt als einer der Väter der Wiedervereinigung.

1994

Die FDP schrumpft auf 6,9 Prozent. Die letzte Phase von Schwarz-Gelb beginnt.

1998

Mit 6,2 Prozent müssen die Liberalen zusammen mit der Union für elf Jahre in die Opposition. Das erste rot-grüne Bündnis startet unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder.

2002

7,4 Prozent unter dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle bringen nicht den erhofften Machtwechsel.

2005

Der Stimmenzuwachs auf 9,8 Prozent reicht wieder nicht zur Rückkehr an die Macht. Die Union von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) koaliert mit der SPD.

2009

Mit dem Rekordergebnis von 14,6 Prozent sichern sich die Liberalen Ministerämter in einer schwarz-gelben Regierung unter Merkel.

2013

Nach den Hochrechnungen kommt die FDP nur auf 4,6 Prozent und würde damit den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen.

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Vor ­allem die jungen Wähler wandten sich scharenweise von der FDP ab. Bei den unter 30-Jährigen haben sie zwölf Prozentpunkte verloren, aber auch bei den 30- bis 44-Jährigen ­(minus 12) und bei den 45- bis 59-Jährigen (minus 10) verlor die Partei in ähnlicher Größenordnung.

„Heute ist ein schwieriger Abend“, sagte ein sichtlich geschlagener Spitzenkandidat Rainer ­Brüderle: „Ich übernehme für das Ergebnis die Verantwortung.“

Der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, übt schwere Kritik an der FDP-Führung. Es seien Fehler über Fehler gemacht ­worden, die zum Schluss in einer Bettelkampagne um Zweitstimmen gipfelten. „Man wählt niemanden, der sich zum Wurm macht.“

Das Ende einer Ära

Es ist in der Tat das Ende einer Ära: Noch bei der Bundestagswahl 2009 hatte die FDP mit 14,9 Prozent ihr bestes Ergebnis aller Zeiten erreicht - nun ist es nach den Hochrechnungen mit 4,5 bis 4,7 Prozent ihr schlechtestes.

Seit 1949 saß die FDP ununterbrochen im Parlament. Mehr als vier Jahrzehnte war sie an Bundesregierungen beteiligt und bei Kanzlerwechseln mehrfach das Zünglein an der Waage. Den in früheren Jahren größten Stimmenverlust mussten die Liberalen 1994 hinnehmen. Damals rutschten sie von 11,0 auf 6,9 Prozent - ein Verlust von 4,1 Punkten. Nach ihrer "Wende" von der SPD zur Union war die Partei aber schon 1983 auf 7,0 Prozent abgerutscht (minus 3,7).

Schon 1969 hatte der FDP fast das Totenglöcklein geläutet. Mit ihrem schlechten Ergebnis von 5,8 Prozent (minus 3,7) überwand sie nur knapp die Sperrklausel, konnte aber mit der SPD eine sozial-liberale Bundesregierung bilden. Das Bündnis hielt 13 Jahre lang bis 1982.

Mehr als 50 Mal wurde die FDP aus Landtagen gekippt - zuletzt in Bayern und an diesem Sonntag auch in Hessen. Nur in Baden-Württemberg ist sie noch nie gescheitert. (mit dpa)