Washington. Fünfzig Jahre nach der berühmten “I Have a Dream“-Rede von Martin Luther King hat US-Präsident Barack Obama den Kampf des schwarzen Bürgerrechtlers gegen Rassismus gewürdigt. Obama mahnte beim Gedenken in Washington, dass noch viel zu tun sei.

Vor 50 Jahren suchten die nach Gerechtigkeit und Freiheit strebenden Zuhörer von Martin Luther King im Wasser-Bassin vor dem Lincoln-Denkmal mit Fußbädern nach Kühlung vor der Sommerhitze. Am Mittwoch, als sich dunkle Nieselregen-Wolken über Washington türmten, waren Regenschirme gefragter. Ein halbes Jahrhundert nach der bis heute wirkenden „I have a dream“-Rede des schwarzen Baptisten-Predigers und Bürgerrechtlers gedachten Zehntausende aus allen Landesteilen, darunter auffallend viele Menschen, die 1963 noch nicht geboren waren, dem historischen Moment, der laut Alt-Präsident Bill Clinton „Amerika für immer verändert hat“.

Im Beisein der Geschwister und Kinder von „MLK“ erklang passend zu einer der ikonischen Redewendungen Kings - „Let Freedom Ring“ - pünktlich um 15 Uhr eine Glocke. Zuvor hatten mehrere Dutzend Rednerinnen und Redner, darunter Prominente der schwarzen Bürgerrechtsbewegung wie Al Sharpton und afro-amerikanische Hollywood-Stars wie Jamie Foxx und Forest Whitaker, die „unveränderte Dringlichkeit und Aktualität“ der King'schen Botschaft vom 28. August 1963 betont: Arbeitsplätze und Freiheit für alle ungeachtet von Rasse und Glauben - „wir sind noch lange nicht am Ziel“.

Obama sprach von einer "großen unvollendeten Aufgabe"

Hauptredner Barack Obama, der von sich selbst behauptet, King habe ihm den Weg ins höchste Staatsamt erst ermöglicht, stellte sich in seiner Ansprache ganz in den Dienst dieses Leitgedankens. Ohne zu versäumen, gleich am Anfang eines klar zu stellen. „Niemand kann die Brillanz Kings erreichen - auch ich nicht.“

Der Traum des Martin Luther King

"Ich freue mich, heute mit euch zusammen an einem Ereignis teilzunehmen, das als die größte Demonstration für die Freiheit in die Geschichte unserer Nation eingehen wird." © dpa
"Vor hundert Jahren unterzeichnete ein großer Amerikaner, in dessen symbolischen Schatten wir heute stehen, die Emanzipationsproklamation. Er kam wie ein freudiger Tagesanbruch nach der langen Nacht ihrer Gefangenschaft." © dpa
"Aber hundert Jahre später ist der Neger immer noch nicht frei. Hundert Jahre später ist das Leben des Negers immer noch verkrüppelt durch die Fesseln der Rassentrennung und die Ketten der Diskriminierung. Hundert Jahre später schmachtet der Neger immer noch am Rande der amerikanischen Gesellschaft und befindet sich im eigenen Land im Exil." © picture alliance / dpa
"Es ist heute offenbar, dass Amerika seinen Verbindlichkeiten nicht nachgekommen ist, soweit es die schwarzen Bürger betrifft. Statt seine heiligen Verpflichtungen zu erfüllen, hat Amerika den Negern einen Scheck gegeben, der mit dem Vermerk zurückgekommen ist: "Keine Deckung vorhanden". Aber wir weigern uns zu glauben, dass die Bank der Gerechtigkeit bankrott ist. Wir weigern uns zu glauben, dass es nicht genügend Gelder in den großen Stahlkammern der Gelegenheiten in diesem Land gibt.So sind wir gekommen, diesen Scheck einzulösen, einen Scheck, der uns auf Verlangen die Reichtümer der Freiheit und die Sicherheit der Gerechtigkeit geben wird. Wir sind auch zu dieser merkwürdigen Stätte gekommen, um Amerika an die grimmige Notwendigkeit des Jetzt zu erinnern." © obs
"Jetzt ist die Zeit, unsere Nation aus dem Treibsand rassischer Ungerechtigkeit zu dem festen Felsen der Brüderlichkeit emporzuheben. Jetzt ist die Zeit, Gerechtigkeit für alle Kinder Gottes Wirklichkeit werden zu lassen. Es wäre verhängnisvoll für diese Nation, wenn sie nicht die Dringlichkeit der gegenwärtigen Lage wahrnehmen würde. Dieser heiße Sommer berechtigter Unzufriedenheit des Negers wird nicht zu Ende gehen, solange nicht ein belebender Herbst der Freiheit und Gerechtigkeit begonnen hat.1963 ist kein Ende, sondern ein Anfang. Wer hofft, der Neger werde jetzt zufrieden sein, nachdem er Dampf abgelassen hat, wird ein böses Erwachen haben, wenn die Nation wieder weitermacht wie vorher.Es wird weder Ruhe noch Rast in Amerika geben, bis dem Neger die vollen Bürgerrechte zugebilligt werden. Die Stürme des Aufruhrs werden weiterhin die Grundfesten unserer Nation erschüttern, bis der helle Tag der Gerechtigkeit anbricht." © dpa
"Und das muss ich meinem Volk sagen, das an der abgenutzten Schwelle der Tür steht, die in den Palast der Gerechtigkeit führt: Während wir versuchen, unseren rechtmäßigen Platz zu gewinnen, dürfen wir uns keiner unrechten Handlung schuldig machen.Lasst uns nicht aus dem Kelch der Bitterkeit und des Hasses trinken, um unseren Durst nach Freiheit zu stillen. Wir müssen unseren Kampf stets auf der hohen Ebene der Würde und Disziplin führen. Wir dürfen unseren schöpferischen Protest nicht zu physischer Gewalt herabsinken lassen. Immer wieder müssen wir uns zu jener majestätischen Höhe erheben, auf der wir physischer Gewalt mit der Kraft der Seele entgegentreten.Der wunderbare, neue kämpferische Geist, der die Gemeinschaft der Neger erfasst hat, darf uns nicht verleiten, allen Weißen zu misstrauen. Denn viele unserer weißen Brüder — das beweist ihre Anwesenheit heute — sind zu der Einsicht gekommen, dass ihre Zukunft mit der unseren untrennbar verbunden ist. Sie sind zu der Einsicht gelangt, dass ihre Freiheit von unserer Freiheit nicht zu lösen ist. Wir können nicht allein marschieren." © dpa
"Ich weiß wohl, dass manche unter euch hierher gekommen sind aus großer Bedrängnis und Trübsal. Einige von euch sind direkt aus engen Gefängniszellen gekommen. Einige von euch sind aus Gegenden gekommen, in denen ihr aufgrund eures Verlangens nach Freiheit mitgenommen und erschüttert wurdet von den Stürmen der Verfolgung und polizeilicher Brutalität. Ihr seid die Veteranen schöpferischen Leidens. Macht weiter und vertraut darauf, dass unverdientes Leiden erlösende Qualität hat.Geht zurück nach Mississippi, geht zurück nach Georgia, geht zurück nach Louisiana, geht zurück in die Slums und Ghettos der Großstädte im Norden in dem Wissen, dass die jetzige Situation geändert werden kann und wird. Lasst uns nicht Gefallen finden am Tal der Verzweiflung." © picture alliance / dpa
"Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können." © dpa
"Ich habe einen Traum, dass sich eines Tages selbst der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze der Ungerechtigkeit und Unterdrückung verschmachtet, in eine Oase der Gerechtigkeit verwandelt." © AFP
"Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird. Ich habe einen Traum heute..." © AFP
"Ich habe einen Traum, dass eines Tages in Alabama mit seinen bösartigen Rassisten, mit seinem Gouverneur, von dessen Lippen Worte wie "Intervention" und "Annullierung der Rassenintegration" triefen ..., dass eines Tages genau dort in Alabama kleine schwarze Jungen und Mädchen die Hände schütteln mit kleinen weißen Jungen und Mädchen als Brüdern und Schwestern. Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht und jeder Hügel und Berg erniedrigt wird. Die rauhen Orte werden geglättet und die unebenen Orte begradigt werden. Und die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar werden, und alles Fleisch wird es sehen." © picture alliance / dpa
"Das ist unsere Hoffnung. Mit diesem Glauben kehre ich in den Süden zurück." © picture alliance / dpa
"Mit diesem Glauben werde ich fähig sein, aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung zu hauen. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, die schrillen Missklänge in unserer Nation in eine wunderbare Symphonie der Brüderlichkeit zu verwandeln." © picture alliance / dpa
"So lasst die Freiheit erschallen von den gewaltigen Gipfeln New Hampshires. Lasst die Freiheit erschallen von den mächtigen Bergen New Yorks, lasst die Freiheit erschallen von den hohen Alleghenies in Pennsylvania. Lasst die Freiheit erschallen von den schneebedeckten Rocky Mountains in Colorado. Lasst die Freiheit erschallen von den geschwungenen Hängen Kaliforniens. Aber nicht nur das, lasst die Freiheit erschallen von Georgias Stone Montain. Lasst die Freiheit erschallen von Tennesees Lookout Mountain. Lasst die Freiheit erschallen von jedem Hügel und Maulwurfshügel in Mississippi, von jeder Erhebung lasst die Freiheit erschallen." © picture alliance / dpa
Wenn wir die Freiheit erschallen lassen — wenn wir sie erschallen lassen von jeder Stadt und jedem Weiler, von jedem Staat und jeder Großstadt, dann werden wir den Tag beschleunigen können, an dem alle Kinder Gottes — schwarze und weiße Menschen, Juden und Heiden, Protestanten und Katholiken — sich die Hände reichen und die Worte des alten Negro Spiritual singen können:
Wenn wir die Freiheit erschallen lassen — wenn wir sie erschallen lassen von jeder Stadt und jedem Weiler, von jedem Staat und jeder Großstadt, dann werden wir den Tag beschleunigen können, an dem alle Kinder Gottes — schwarze und weiße Menschen, Juden und Heiden, Protestanten und Katholiken — sich die Hände reichen und die Worte des alten Negro Spiritual singen können: "Endlich frei! Endlich frei! Großer allmächtiger Gott, wir sind endlich frei!" © AFP
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Auf den Stufen vor der Lincoln-Statue, wo King seinerzeit vor 250.000 Zuhörern ans Mikrofon getreten war, sprach der Präsident von einer „großen unvollendeten Aufgabe“, die MLK Amerika hinterlassen habe. „Unvorstellbaren Erfolgen“ auf dem Feld der rechtlichen Gleichstellung, die niemand kleinreden dürfe, stünden Rückschläge entgegen: von „unterfinanzierten Schulen und überfüllten Gefängnissen“ bis hin zu einer Arbeiterschaft, die „unabhängig von Rasse“, überall in den Vereinigten Staaten geschwächt sei - durch unsichere Jobs und stagnierende Löhne. Die Aussicht für viele Amerikaner, ein solides Mittelklasse-Leben führen zu können, mit guter Bildung für ihre Kinder, angemessenen Löhnen, einer bezahlbaren Sozial- und Krankenabsicherung und gesellschaftlichen Teilhabe-Möglichkeiten, sei stark getrübt.

Präsident appelliert: Bürger sollen für Fortschritt und Freiheit marschieren

Überraschend frontal ging Obama nicht nur den politischen Gegner an; die auf Nein-Sagen geeichten Republikaner, die Politik zu einem „Nullsummenspiel“ werden ließen. Um die Zukunft zu gestalten, so der Präsident, müssten die Politiker endlich zusammen und nicht gegeneinander arbeiten. Auch den Schwarzen in den USA, die sich in vielen Fällen für prinzipiell benachteiligt halten, las der Präsident die Leviten. „Gerechtfertigte Klagen gegen Polizei-Brutalität“, sagte er in Anspielung auf jüngste spektakuläre Fälle, „ist umgekippt in das nach Entschuldigungensuchen für kriminelles Verhalten.“

Als, je nach Blickwinkel, „resignativ oder kämpferisch“ interpretierten politische Beobachter Obamas Appell an die Bürger, sich aktiver einzumischen, im übertragenen Sinne so wie damals Martin Luther King „zu marschieren“ für „Fortschritt und Freiheit“. Denn Veränderungen, konstatierte der Präsident, geschähen in Amerika nicht durch den politischen Apparat Washington. „Sie kommen nach Washington.“