Berlin. Bundeskanzlerin nutzt ihre Auftritte zu Plauderrunden. Obwohl die Mehrheiten eng sind, klammert sie Streitthemen aus. Ihren Herausforderer Peer Steinbrück ignoriert sie einfach. Es geht fast humorfrei zu, sie stellt sich auf ein Publikum ein, das unpolitisch und in Urlaubslaune ist.
Fehlt was? Von der Bühne blickt Angela Merkel auf die Menge. Über 3000 Menschen dürften es am Samstag auf dem Marktplatz in Bonn sein. Nein, die Kanzlerin dürfte nichts im Wahlkampf vermissen, vor allem nicht Zulauf, Zustimmung. Am Freitag waren es 6000 Leute in Münster und 2500 in Recklinghausen. Nach zwei Wochen dürfte sie 50.000 Menschen angesprochen haben. Sie kommt auf zwei Auftritte pro Tag, auf 60 bis Ende der Kampagne. Meist schwebt sie mit dem Hubschrauber ein, nach einer guten Stunde ist sie wieder weg. Merkels Auftritte sind speziell. So etwas hat man eigentlich noch nie erlebt.
Publikum in Urlaubslaune
Sie stellt sich auf ein Publikum ein, das unpolitisch und in Urlaubslaune ist. Sie redet maximal eine halbe Stunde lang und bemüht sich um eine einfache Sprache. Kein Fremdwort, kein Kauderwelsch. Jeder Auftritt beginnt mit einer Plauderrunde. In Bonn erzählt sie, dass sie dort im Stadtteil Muffendorf gewohnt hat und zu Karneval öfter in ihren Wahlkreis an der Ostsee gefahren sei. Und in Recklinghausen gibt sie einen Fußball-Tipp ab. 3:1 für Dortmund. 1:0 endete es. „Der Lewandowski hat es ja gepackt“, stellt sie anderntags fest. Am Ende sind es solche Sätze, die womöglich hängen bleiben.
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Es geht fast humorfrei zu. Aber bitte, wenn der Gegner ihr den Ball auf den Elfmeterpunkt legt, macht sie ihr Tor: „Wenn Sie eine Partei brauchen, die Ihnen sagt, wann Sie Fleisch essen und wann nicht, dann sind Sie bei der CDU nicht an richtigen Platz.“ Den Gag versteht jeder. Es geht um den „Veggie Day“ – und gegen die Grünen.
Sie drückt sich um Streitfragen
Ansonsten zieht sie selten über ihren Gegner her. In Merkels Augen gibt es zwischen den Parteien keine starren Trennlinien mehr. Die SPD erwähnt sie in Bonn ein Mal, Herausforderer Peer Steinbrück gar nicht. Sie drückt sich auch um Streitfragen. Kein Wort zur NSA-Affäre, zum Krieg in Syrien, zu den Protesten gegen Flüchtlinge oder über den nächsten Scheck für Griechenland. Wenn sie damit durchkommt, hat sie nach dem 22. September freie Hand. Wer nichts verspricht, kann hinterher auch nicht des Wortbruchs bezichtigt werden.
Das Bild vom Wahlkämpfer haben Männer geprägt. Ichlinge auf Ego-Trip. Merkel klingt zaghaft, wenn sie am Ende ihrer Rede zum Höhepunkt kommt: „Wenn Sie finden, dass wir ein gutes Angebot für Sie haben, dann machen Sie ihr Kreuz bei uns.“ Kontroversen deutet sie nur an. Zum Beispiel beteuert Merkel, dass man die Unternehmer jetzt nicht mit einer Vermögensteuer belasten und dass die Tarifpartner die Mindestlöhne festlegen sollten. Das sieht die SPD anders. Das könnte sie zuspitzen. Die CDU-Chefin schenkt sich auch das. Sie hält überall mehr oder weniger die gleiche Rede. Die meisten Menschen erleben sie zum ersten Mal. Für sie ist die Ansprache neu. CDU-Anhänger halten „Angie“-Schilder hoch und die Jusos mit Sprüchen wie „Merkelitis ist heilbar“ dagegen. Sie sind Teil des Spiels.
Mehrheit ist eng
Auf öffentlichen Plätzen sind mehr die Passanten und Schaulustigen die Adressaten ihrer Ansprachen, mittags auf dem Bonner Markt buchstäblich die Laufkundschaft. Die wird nicht verprellt. Ein alter Slogan wie „Freiheit statt Sozialismus“ würde heute weder zur Gefechtslage noch zu Merkels Naturell passen. Ihre Kundgebungen lösen sich quasi in Wohlgefallen auf.
Wahlkampf mit der SPD
Eigentlich sind die Mehrheiten eng. Wenn Merkel an den Wahlabend denkt, ist da eine kleine Furcht. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: Eine Koalition von SPD, Grüne und Linke, „R2G“ im Berliner Jargon. In jeder CDU-Veranstaltung wird davor gewarnt. In Bonn nahm NRW-CDU-Chef Armin Laschet ihr die Aufgabe ab. Ein Bericht in der „Zeit“ über den Grünen Jürgen Trittin hat die CDU alarmiert. Trittin trauen sie alles zu.
SPD hat Luft nach oben
Es gibt weitere Unwägbarkeiten: Das TV-Duell in einer Woche vor einem Millionenpublikum, die Syrien-Krise, die Bayern-Wahl am 15. September. Schmiert die FDP im Freistaat ab, wird sie in der letzten Wahlkampf-Woche verstärkt der CDU Konkurrenz machen. Die scheint ihr Potenzial ausgereizt zu haben, wohingegen die SPD Luft nach oben hat. Es ist offen, ob sich der Ruhig-Blut-Wahlkampf auszahlt oder ob die Leute zu Hause bleiben, nicht richtig angesprochen. Merkel lässt es darauf ankommen. Mit dem Restrisiko kann sie leben.