Essen. Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will in der kommenden Wahlperiode Konsequenzen aus dem Spähskandal ziehen. Im Interview setzt sie sich für einen Geheimdienst-Beauftragten ein, der die Aktionen der Nachrichtendienste begleitet.

In Berlin werden Asylbewerber von Rechtsextremen beschimpft. Das  erinnert an die Ausschreitungen von  Rostock-Lichtenhagen vor 21 Jahren. Was muss passieren?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: In Deutschland gibt es ein rechtsextremes Potenzial, das fremdenfeindlich agiert und das auch vor schlimmsten Taten nicht zurückschreckt. Bei allen öffentlichen Institutionen gibt es dafür  die Wachsamkeit – spätestens seit 2011, als die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds bekannt wurde. Deshalb ist es wichtig, klar Präsenz zu zeigen. Mit Polizei, aber auch mit der Botschaft der Zivilgesellschaft: Wir lassen für diese Leute keinen Raum.

Wie sollen sich Bürger, die ernsthafte Sorgen über Probleme im Umfeld solcher Asylbewerberheime haben, von den extremen Einheizern abgrenzen?

Leutheusser-Schnarrenberger: 1992 gab es über 400.000 Asylbewerber und eine emotionale Debatte. Da sind wir heute lange nicht, obwohl viele Kommunen nicht auf den neuen Anstieg vorbereitet waren. Wir müssen aber die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Wo es Probleme gibt, sollten sich die Beteiligten an einen Tisch setzen und Lösungen suchen. Da haben sie dann auch eine Stimme.

Städte wie Duisburg und Dortmund haben Probleme mit Zuwanderern aus der EU, aus Bulgarien und Rumänien. Es gibt Hinweise, dass Kinder aus diesen Gruppierungen angehalten werden, auf Diebeszug zu gehen. 2014 wird die volle Freizügigkeit für Einwanderer aus diesen Ländern gelten. Soll Berlin noch bremsen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich halte es für schwierig und nicht richtig, die Freizügigkeit auszusetzen. Ich glaube nicht, dass es mit dem Jahreswechsel noch einmal zu einer explosionsartigen Entwicklung bei der Zuwanderung aus Südosteuropa kommt. Wir haben auch in diesen Fällen genug Instrumente, dann abzuschieben, wenn abgeschoben werden muss.

Der britische Geheimdienst hat vom „Guardian“ nach dessen Angaben verlangt, die Festplatten zur Späh-Affäre zu schreddern. Wäre so etwas bei uns möglich?

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Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Zum Glück haben wir in dieser Wahlperiode eine bedeutende Gesetzesänderung gestemmt. Sie war mein Vorschlag. Wenn ein Journalist eine Information von jemandem bekommt, der mit der Weitergabe ein Dienstgeheimnis verletzt, dann darf gegen diesen Journalisten nicht strafrechtlich vorgegangen werden. Ein strafrechtliches Vorgehen nämlich könnte Einfallstor für Beschlagnahmungen oder Zerstörungen sein. Es würde ins Herz des investigativen Journalismus treffen. Wir haben das Einfallstor  dicht gemacht.

Wissen Sie, was der amerikanische Geheimdienst NSA hier tut und was mit den Daten deutscher Bürger passiert?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann nicht beurteilen, was mit den Daten deutscher Bürger im Ausland passiert. Da sind weltweite Konzerne tätig. Deshalb wollen wir Verhandlungen mit den USA und die EU-Datenschutzverordnung jetzt vorantreiben. Kern der Verordnung ist, dass die strengen europäischen Regeln auch für amerikanische Konzerne gelten, wenn der Nutzer in Europa sitzt. Zu den Umständen in Deutschland kann ich sagen: Diejenigen, die die technische Verantwortung an den Knotenpunkten der Datenübermittlung haben, sind  befragt worden. Sie haben gesagt, dass es keine nachweisbaren und gezielten Angriffe auf diese Datenknotenpunkte gegeben hat. Da habe ich weder eigene Erkenntnisse noch die Kompetenz, das in Frage zu stellen.

Hat das Abkommen mit den USA eine Chance?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja. Die Debatte auch in Amerika hat eine andere Dynamik bekommen. Sogar republikanische Senatoren schreiben an den Präsidenten und sagen, es könne mit der NSA so nicht weitergehen.

Ist Edward Snowden für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ein Verräter oder ein Held?

Was sind die grundlegenden Erkenntnisse aus der Spähaffäre?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist uns vor Augen geführt worden, was praktisch oder theoretisch abgeschöpft werden kann und was deutsche Geheimdienste dürfen und was nicht. Sie können eben nicht außer Rand und Band geraten und alles machen, was sie wollen. Positiv ist auch, dass es noch nie eine solche Transparenz bei Dingen gegeben hat, die die Geheimdienste betreffen, und dass der technische Datenschutz gerade einen ganz anderen Stellwert erhält.

Kann die Geheimdienstkontrolle verbessert werden?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja. Entscheidend für mich ist die Einrichtung eines ständigen Geheimdienstbeauftragten, der vom Parlamentarischen Kontrollgremium bestimmt wird. Er sollte die Abgeordneten entlasten, die noch viele andere Aufgaben haben. Er sollte einen fachlichen Hintergrund mitbringen, könnte sich ständig um die Überwachung kümmern und einen Zugang zu allen Akten haben – auch ohne, dass es dafür einen konkreten Anlass gibt. Dafür sollte in der nächsten Wahlperiode eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden.

Was ist Snowden für Sie? Verräter oder  Held?

Leutheusser-Schnarrenberger: Weder noch. Er hat, einerseits, mit seinen Informationen eine weltweite Debatte angestoßen. Er hat aber auch gegen Gesetze verstoßen und hätte dies auch hier getan. Wäre er Mitarbeiter beim BND gewesen und wäre hier ähnlich wie in Amerika vorgegangen, hätte er sich strafbar gemacht.

Sie wehren sich gegen die anlasslose Speicherung von Verbindungsdaten bei Telefon- und Internetkommunikation. Polizeiexperten sagen, dann könnten sie nicht mehr fahnden, denn sie kämen nicht an wichtige Verbindungen, die länger zurückliegen.

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Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben, seitdem das Bundesverfassungsgericht das Vorratsdatenspeicherungsgesetz aufgehoben hat, keine Speicherung dieser Daten mehr. Ist Deutschland unsicherer geworden? Nein. Haben wir eine hohe Aufklärungsquote? Ja. Also treffen Behauptungen nicht zu, dass ich nur mit dieser anlasslosen Datenspeicherung Kriminalität verfolgen kann.

Der NRW-Innenminister sagt das anders. Zahllose Fälle von Kinderschändungen könnten nicht verfolgt werden, weil die Polizei mangels Gesetz nicht an die Verbindungsdaten der Täter kommt.

Leutheusser-Schnarrenberger: Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben doch gerade Erfolge, seit dem im Netz ermittelt wird. Natürlich müssen die Ermittler dann rund um die Uhr, auch Samstags und Sonntags da sein. Wir müssen in Echtzeit an den Täter sein. Man muss sich der Kärrneraufgabe zuwenden: Die Strafverfolgung  verbessern, Geld hinein stecken. Das ist eine ureigene Aufgabe der Länder.

Die Grünen bereiten gerade ihre Anfangszeit auf, wo es zu pädophilen Tendenzen gekommen ist. Auch die FDP ist ins Gerede gekommen. Ihre Bundestagkandidatin, Frau Döring, verzichtet auf die Kandidatur. Wie beurteilen Sie das?

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Leutheusser-Schnarrenberger: Es war respektvoll von Frau Döring. Aber die FDP hat keine pädophile Vergangenheit. Liberalität und Individualität bedeuten ja nicht, dass Kindesmissbrauch zu Verhaltensweisen unserer Gesellschaft gehören. Alle Versuche, damit von den früheren Problemen der Grünen abzulenken, müssen fehlschlagen. Es ist dringend geboten, dass sich die Grünen damit befassen. Das war damals dort Haltung bei ihnen, es gab die programmatische Forderung, die entsprechenden Strafbestimmungen zu ändern. Das folgte dem Trend, die alten Zöpfe abzuschneiden und sich dem tabufreien Sex zuzuwenden. Sie sollten einen klaren Schnitt unter dieses Kapitel ihrer Anfangszeit machen, eine klare Absage geben. Kein Wackeln.

Die grüne Partei will aktuell den Haschisch-Konsum für den Eigenbedarf freigeben. Wie stehen Sie dazu?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist eine uralte Forderung. Wir brauchen aber keine gesetzlichen Änderungen. Bei geringen Mengen wird ja der Besitz auch heute schon nicht mehr bestraft. Die Länder müssen nur  definieren, was geringe Mengen sind. Wenn die Grünen ihre Haltung zu Haschisch in Handeln umsetzen wollen, kann die rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen dazu eine Bundesratsinitiative einbringen.