Kairo. . Angeheizt durch einen Gerichtsbeschluss gegen den gestürzten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi haben sich dessen Anhänger und Gegner am Freitag abermals blutige Straßenkämpfe geliefert. Nachdem die Justiz zwei Wochen Untersuchungshaft gegen den islamistischen Politiker verhängt hatte, gab es in mehreren Städten gewalttätige Ausschreitungen. Dabei wurden laut Behörden und Medizinern trotz Einschreiten der Sicherheitskräfte mindestens drei Menschen getötet und Dutzende verletzt.
Die zwei Welten Ägyptens liegen keine zehn Kilometer auseinander. Auf dem Tahrir-Platz feierten sich am Freitag die „Zweiten Revolutionäre“ und huldigten Armeechef Abdel Fattah El-Sissi, ihrem neuen Idol. Jubel mischte sich in den Lärm der Rotorblätter grau-grüner Kampfhubschrauber, die im Tiefflug über die enthusiastische Menge ratterten.
„Mursi, Mursi“ hallte es dagegen durch das Riesenzeltlager der Muslimbrüder in Nasr City. Man werde erst weichen, wenn Doktor Mohammed Mursi wieder rechtmäßiger Präsident Ägyptens ist, tönte es unablässig.
Inszenierter Militärrausch
Wie zwei riesige feindliche Heerlager steht sich Ägyptens Bevölkerung inzwischen gegenüber. Jede Hälfte möchte die andere am liebsten aus dem gemeinsamen Land werfen. Die gegenseitige Dämonisierung hat längst Züge von Massenhysterie angenommen, bis zum späten Abend gab es bei Krawallen in Alexandria, Kairo und Damietta mindestens fünf Tote und dutzende Verletzte. „Die Armee muss den Terror ausrotten“ hing als Riesenbanner quer über den Tahrir-Platz.
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Und den ganzen Tag über strömten Hunderttausende im neuen Sissi-Kosmos zusammen, um ihrem Armeechef das vor zwei Tagen von ihm eingeforderte Volksmandat gegen „Terroristen und Gewalt“ zu erteilen. Dass damit die Muslimbrüder gemeint sind, daran lässt hier niemand einen Zweifel. Obendrein erließ Ägyptens Justiz am Freitag erstmals einen Haftbefehl gegen den seit drei Wochen weggesperrten Ex-Staatschef Mursi und nahm ihn in Untersuchungshaft.
Westliche Mahnungen gelten als Verrat
Mahnungen des UN-Generalsekretärs und westlicher Staatschefs hin, Lieferstopp für US-Waffen her, Ägyptens Armee geht im Machtkampf mit den Muslimbrüdern jetzt aufs Ganze. In dem von Sissi inszenierten Militärrausch bleiben Übergangspräsident und Übergangsregierung nur noch die Rollen schweigender Statisten.
Und neben den Feinden im Inneren, sind auch die Gegner im Äußeren inzwischen ausgemacht. „Qatar, Türkei, USA und Deutschland sind die Feinde Ägyptens“, trugen einige Demonstranten als Plakate um den Hals.
Die Forderung aus Washington und Berlin, Mursi freizulassen, gilt für sie als Verrat. Und jeder, der den 3. Juli einen Militärputsch nennt, meint es in ihren Augen nicht gut mit Ägypten. „China und Russland werden uns helfen, wir brauchen Amerika nicht mehr“, trompetet Fathi Hamdi, der in Tanta im Nildelta ein kleines Textilgeschäft besitzt.
Gut gesicherte Zeltstadt auf Asphalt
Ähnlich schlecht auf das Weiße Haus zu sprechen sind auch die Muslimbrüder in ihrem Mursi-Kosmos rund um die Rabaa Adawiya Moschee, weil Präsident Barack Obama das Reizwort Putsch einfach nicht in den Mund nehmen will. Alle Zufahrten zu dem kilometerlangen Asphalt-Zeltplatz haben sie mit Betonklötzen und Sandsäcken befestigt.
In den letzten drei Wochen ist hier Protestroutine eingekehrt. Argumente und Reden drehen sich im Kreis, ebenso wie das Zeltleben in seinem täglich wiederkehrenden Ramadan-Rhythmus. Dicht an dicht reihen sich die Behausungen aneinander, unter einer Plane wohnen „Anwälte für Mursi“, unter einer anderen „Bauern für Mursi“ und unter einer dritten „Lehrer für Mursi“. Überall hängen säuberlich an den Holzstangen befestigt die Plastiktüten der Bewohner mit Zahnbürste, Seife und einigen Habseligkeiten. Vormittags sammeln die Zeltinsassen untereinander Geld. Abends bekommen sie dafür Essen zum Fastenbrechen geliefert, was in Großküchen auf den Protestboulevards oder in Restaurants der Umgebung gekocht wird.
„Hier geht es um die Zukunft meines Landes“
In der Nacht zu Freitag jedoch hat hier niemand ein Auge zugetan. Bis in die frühen Morgenstunden plärrten die Verstärker auf der Bühne, wurde in den Zelten bei Tee und Datteln diskutiert, während Minibusse aus allen Himmelsrichtungen weitere Mitstreiter für den großen Showdown mit der anderen Seite auf dem Tahrir-Platz herankarrten.
Machtkampf in Ägypten
„Wir werden nicht klein beigeben. Wir werden keine Militärdiktatur zulassen“, sagt Mustafa Ahmed, der eigentlich Bankmanager in Kuwait ist und nach Sissis Drohrede alles am Golf stehen und liegen ließ, um in Kairo gegen den Armeechef zu demonstrieren. Bei der Präsidentenwahl gehörte er zum Wahlkampfteam des Linkspolitikers Hamdeen Sabahi. „Ehrlich gesagt, ich mag die Muslimbrüder nicht“, sagt er schließlich. „Aber hier geht es um die Zukunft meines Landes.“