Kairo. .

Angesichts wachsender Gewalt im Land will Ägyptens Armeeführung im Machtkampf mit den Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi jetzt offenbar hart durchgreifen. Wenige Stunden nach einem Bombenanschlag auf eine Polizeiwache im Nildelta rief Oberbefehlshaber General Abdel Fattah al-Sissi die Bevölkerung für morgen zu Großdemonstrationen gegen „Terrorismus und Gewalt“ auf. „Alle ehrenhaften Ägypter müssen auf die Straße gehen und mir Mandat und Befehlsgewalt erteilen, Terrorismus und Gewalt zu beenden“, erklärte Sissi in einer direkt im Staatsfernsehen übertragenen Rede bei einer Vereidigungszeremonie in Alexandria.

Wenige Stunden zuvor hatten Unbekannte vor einer Polizeiwache in der Stadt Mansoura zwei Bomben gezündet. Durch das Attentat wurden ein Polizeirekrut getötet und 28 Beamte verletzt. Ein Sprecher der islamistischen „Anti-Putsch-Allianz“ der Muslimbrüder verurteilte die Tat als kriminell und versicherte, man werde weiter friedlich demonstrieren und sich nicht in Gewalttaten hineinziehen lassen. Drei Tage zuvor hatten Bewaffnete in Mansoura eine Demonstration von Anhängern des gestürzten Präsidenten angegriffen und dabei drei Frauen getötet.

Essam al-Erian, Spitzenpolitiker der Muslimbruderschaft, wies die Rede Sissis über Facebook als eine Drohung zurück, die „Millionen Menschen nicht daran hindern wird, weiter zu protestieren“. Die Tamarod-Bewegung, deren Unterschriftenkampagne die Millionenproteste gegen Mursi ausgelöst hatte, forderte dagegen die Bevölkerung auf, „die Armee in ihrem kommenden Krieg gegen den Terrorismus zu unterstützen“.

Aufruf von General Sissi

Bisher sind bei Demonstrationen gegen die Absetzung von Mohammed Mursi rund 170 Menschen ums Leben gekommen. In den meisten Fällen ging die Gewalt von den Sicherheitskräften aus, in letzter Zeit zunehmend auch von bewaffneten Zivilisten dubioser Herkunft. Nach dem Eindruck westlicher Beobachter ist die Rebellenbewegung „Tamarod“ auffällig stark von Mitarbeitern des ägyptischen Inlandsgeheimdienstes durchsetzt.

Mit seinem ungewöhnlichen Aufruf will sich General Sissi, dessen Gesicht bei seiner Ansprache durch Schirmmütze und dunkle Sonnenbrille teilweise verdeckt war, offenbar Rückendeckung bei der Bevölkerung verschaffen, die Zeltlager der Muslimbrüder mit Gewalt zu räumen. Er habe Mursi nach den Millionen-Protesten am 30. Juni vor die Alternative gestellt, zurückzutreten oder ein Referendum auszuschreiben, erklärte Sissi. Seine Mitarbeiter hätten diese Ansinnen abgelehnt und ihn stattdessen einzuschüchtern versucht mit dem Argument, dann werde es „sehr viel Gewalt geben wegen der zahlreichen bewaffneten Gruppen“.

Kein Lebenszeichen von Mursi

Offenbar hat die Armee inzwischen auch Hinweise, dass Extremisten aus dem Sinai über den Suezkanal hinweg in das Niltal einzusickern beginnen. Im Norden der Halbinsel kämpfen Soldaten seit Tagen gegen islamistische Radikale, die bei ihren Angriffen auf Polizeiwachen und Armeeposten bisher 30 Menschen getötet haben. Auch gestern wurden wieder zwei Soldaten erschossen.

Seit seinem Sturz am 3. Juli steht der vom Militär entmachtete Staatschef Mohammed Mursi an einem unbekannten Ort unter Arrest. Wichtige Führungskräfte der Muslimbrüder wurden ebenfalls festgenommen, andere sind untergetaucht und werden per Haftbefehl gesucht. Zwei seiner engsten Berater haben inzwischen Kontakt zu ihren Familien aufgenommen und um Gefängniskleidung gebeten. Von ihrem ehemaligen Chef dagegen fehlt seit drei Wochen jedes Lebenszeichen.