Washington. Nach einer Reihe von heftigen Konflikten mit dem afghanischen Präsidenten Karsai reißt der US-Regierung offenbar der Geduldsfaden. Laut Medienbericht schließt Barack Obama nun auch einen völligen Rückzug der amerikanischen Truppen aus dem Krisenland nicht mehr aus. Das hätte auch Konsequenzen für die Bundeswehr.
Die amerikanische Regierung verliert die Geduld mit Afghanistans Präsident Karsai und schließt nach Recherchen der „New York Times“ erstmals einen Totalabzug ihrer Truppen nach 2014 nicht mehr aus. Käme es so, wäre auch die Bundeswehr im Norden des Landes betroffen. Deutschland hat dort derzeit 4300 Soldaten stationiert. Bis zu 800 sollen über 2015 hinaus bleiben. Unter Bedingungen.
Was als reinigendes Gewitter geplant war, endete mit gegenseitigen Anschuldigungen auf höchster Ebene. Am 27. Juni kamen US-Präsident Barack Obama und sein afghanischer Gegenpart Hamid Karsai per Videokonferenz zusammen, um die jüngste Episode in der Geschichte „Szenen einer komplizierten Ehe“ beizulegen. Karsai hatte zuvor öffentlich übel genommen, dass Washington in der Endphase des seit elf Jahren währenden Krieges über ein Verbindungsbüro in Doha/Katar direkte Gespräche mit den Taliban aufnimmt. Kabul will selbst entscheiden, wo, wie und wann man mit den Aufständischen ins Gespräch kommt.
Offener Streit um den Umgang mit den Taliban
Um die Spannungen zu lockern, so erfuhr der Drohnenkriegs-Experte der New York Times, Mark Mazzetti, sollte auf höchster Ebene der abgerissene Gesprächsfaden neu geknüpft werden. Die Sache ging reichlich schief. Karsai sagte Obama ins Gesicht, dass er sich von Washington hintergangen fühlt. Amerika mache mit dem Bin-Laden-Beherberger Pakistan und den Taliban auf eigene Rechnung Frieden und lasse ihn, Karsai, schutzlos zurück. Obama gab pikiert zurück, dass jahrelang viele Amerikaner ihr Leben gelassen haben, um die Regierung Karsai zu stützen.
Der Disput, der sich in eine Reihe von Reibereien einfügt, die dass Verhältnis Karsai/Obama auf die abschüssige Bahn gebracht haben, hat laut „New York Times“ eine Güterabwägung verändert. Sollte es so kommen, hätte das weit reichende Konsequenzen für die übrigen Truppensteller in der Afghanistan-Schutztruppe Isaf. Danach zieht Washington die Option, ab 2015 überhaupt gar keine US-Soldaten mehr zur Sicherung der fragilen Lage am Hindukusch zu belassen, nicht mehr nur als allerletzte Wahl in Betracht - sondern inzwischen als „realistischen Weg“. Obama würde damit die Entwicklung im Irak kopieren, wo die Supermacht Ende 2011 gegen alle Erwartungen ganz einpackte, obwohl eigene Militärs vor einem Komplettabzug gewarnt hatten. Heute gilt die Sicherheitslage im Irak als instabiler denn je.
Machtpoker, bei dem es auch um viel Geld geht
Derzeit sind noch 63.000 GI‘s in Afghanistan stationiert. Nach Plan soll ihre Zahl bis Frühjahr 2014 auf 34.000 abgebaut werden. Für Anfang 2015 war bisher die US-Zielmarke 8000 angepeilt. Wie viele Soldaten des westlichen Bündnisses dann insgesamt den afghanischen Sicherheitskräften sekundieren sollen, steht bislang nicht fest. Hauptgrund: Kabul und Washington kommen beim Truppen-Stationierungsabkommen für die Zeit nach Beendigung des Kampfeinsatzes nicht auf einen grünen Zweig. Das noch fehlende Regelwerk ist auch für den deutschen Verteidigungsminister Thomas de Maizière Voraussetzung für ein künftiges Engagement der Bundeswehr.
Insbesondere die juristische Immunität, die Amerika für seine Soldaten einklagt und die Kabul nicht gewähren will, entzweit die Verhandlungspartner. Zuletzt hat Karsai die Gespräche aus Verdruss über die Taliban-Aktivitäten Washingtons ganz auf Eis gelegt. Er will, dass Washington die aus Pakistan agierende Talibanspitze zwingt, direkt mit ihm zu verhandeln. Vorerst scheint sich das Thema erledigt zu haben. Weil ihnen der Gastgeber Katar die als provokant empfundene Flagge mit dem Schriftzug „Islamisches Emirat Afghanistan“ verbietet, haben die Taliban ihre Zweigstelle in Doha vorübergehend geschlossen.
Westliche Diplomaten in den USA vermuten hinter der jüngsten Eskalation einen Machtpoker. Sollten die Amerikaner wirklich Silvester 2014 das Licht ausmachen, und mit ihnen auch die übrigen Truppensteller-Nationen, gingen Afghanistan große Teile des ab 2015 auf acht Milliarden Dollar geschätzten Pakets aus militärischer und ziviler Hilfe verloren; etwa die Hälfte des jährlichen Budgets der Regierung in Kabul. Dass Karsai dieses Risiko eingeht, heißt es in Washington, sei „nur schwer vorstellbar“.