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Heute vor exakt 20 Jahren war der Brandanschlag von Solingen. Die NRZ sprach mit Renate Künast, der Bundestagsfraktionsvorsitzenden der Grünen, über das Attentat, über Rechtsextremismus und die Asylpolitik in Europa.
Das Attentat von Solingen vor 20 Jahren war nur ein, wenn auch besonders tragischer Übergriff in jenen Tagen. Was rief diesen Hass hervor?
Renate Künast: Solingen war kein einmaliger tragischer Zwischenfall. Wer Solingen in einen solchen Kontext setzt, verdrängt die damalige gesellschaftliche Stimmung und die Realität von Rechtsextremismus und rechter Gewalt in Deutschland. Solingen steht in einer Reihe mit den Anschlägen von Hoyerswerda, Mölln und Rostock-Lichtenhagen. Vor allem Union und FDP haben damals die Anschläge verharmlost und fehlgedeutet. Wir wissen, dass Rassismus auch heute bis in die Mitte der Gesellschaft hinein verbreitet ist.
Wenige Tage vor Solingen hatte der Bundestag die Änderung, Kritiker sagen die Aushöhlung der Asylgesetze, beschlossen. Die Grünen stimmten mit wenigen Anderen gegen die Änderung. Warum?
Renate Künast: Die Anschläge in Hoyerswerda, Mölln und Rostock-Lichtenhagen wurden damals vor allem von CDU und CSU massiv instrumentalisiert, um ihre Asylrechtsverschärfung durchzusetzen. Die gesellschaftliche Stimmung war damals so, dass jegliche Zuwanderung abgelehnt und Flüchtlinge als „Scheinasylanten“ beschimpft wurden. Dennoch war für uns klar, dass wir die Asylrechtsverschärfung ablehnen, weil sie eine massive Beschneidung des Grundrechts auf Asyl bedeutete. Das war und ist nicht mit unseren Grundsätzen vereinbar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat uns darin Recht gegeben.
Im Mittelmeer spielen sich fast täglich erschütternde Szenen ab, die aber, so sagen Kritiker, in Mitteleuropa kaum wahrgenommen werden. Ist das ein Zeichen von fehlender Solidarität? Oder ist es Verdrängung?
Renate Künast: Diese humanitäre Katastrophe im Mittelmeer ist vor allem das Resultat einer europäischen Abschottungspolitik. Statt legale Möglichkeiten für die sichere Einreise von Flüchtlingen zu schaffen, errichten die europäischen Regierungen immer neue und höhere Hürden. Und wer es dennoch bis in die Europäische Union schafft, kann nur unter großen Schwierigkeiten Asyl beantragen. Oft werden diese Schutzsuchenden inhaftiert. Sie werden häufig zu einem Spielball, indem die Mitgliedsstaaten der EU versuchen, das Schicksal dieser Menschen möglichst einem anderen Mitgliedsstaat zuzuschieben. Das ist das Gegenteil von Solidarität.
Wie stellen sich die Grünen eine zeitgemäße Asylpolitik vor?
Renate Künast: Wir wollen eine menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik und keine „Festung Europa“. Wir setzen uns für die Aufnahme von Menschen ein, die vor Krieg, Verfolgung und Vertreibung geflohen sind und wir fordern einheitliche Schutzstandards auf hohem Niveau in ganz Europa. Menschen dürfen nicht in Staaten zurückgeschoben werden, in denen sie statt eines fairen Asylverfahrens Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung oder soziales Elend erwartet. Auch wir haben die Verpflichtung, syrische Flüchtlinge aufzunehmen.