Paris. Die Chefin des IWF Christine Lagarde muss vorerst keine Anklage wegen Beihilfe zur Veruntreuung öffentlicher Mittel fürchten. Der französische Gerichtshof der Republik entließ sie als “verdächtige Zeugin“. Hintergrund waren Entschädigungszahlungen an den Geschäftsmann Tapie während Lagardes Zeit als Wirtschaftsministerin.

Gegen IWF-Chefin Christine Lagarde wird vorerst kein Anklageverfahren wegen Beihilfe zur Veruntreuung öffentlicher Mittel eingeleitet. Die 57-Jährige konnte den französischen Gerichtshof der Republik am Freitagabend nach zweitägiger Vernehmung als "verdächtige Zeugin" verlassen. Das bedeutet, dass Indizien für die Beteiligung an einer Straftat vorliegen, diese jedoch nicht für ein Anklageverfahren ausreichen.

"Mein Status als Zeugin mit Rechtsbeistand ist keine Überraschung für mich, denn ich habe stets im Interesse des Staates und im Einklang mit dem Gesetz gehandelt", sagte Lagarde nach der Anhörung. Die 57-Jährige war am Donnerstag und Freitag jeweils zwölf Stunden lang befragt worden. Sie werde nun nach Washington zurückkehren und sich wieder ganz ihrer Arbeit an der Spitze des IWF widmen, sagte Lagarde.

Gegen Empfehlungen von Experten gehandelt

Der Status des Zeugen mit Rechtsbeistand entspricht in Frankreich einem "Zwitterstatus" zwischen Beschuldigtem und Zeugen. Er schließt nicht aus, dass die Justiz zu einem späteren Zeitpunkt ein formelles Ermittlungsverfahren gegen Lagarde einleitet.

Hintergrund der Ermittlungen ist eine aus der Staatskasse finanzierte Entschädigungszahlung von rund 400 Millionen Euro an den Geschäftsmann Bernard Tapie. Lagarde hatte sie in ihrer Zeit als französische Wirtschaftsministerin zwischen 2007 und 2011 ermöglicht, um einen jahrelangen Streit beizulegen. Tapie hatte sich von der früheren Staatsbank Crédit Lyonnais beim Verkauf seiner Anteile am deutschen Sportartikelhersteller Adidas geprellt gesehen und deswegen geklagt.

Nach Ansicht der Ermittler hätte Lagarde das Schiedsgerichtsverfahren mit abschließender Entschädigungszahlung nicht zulassen dürfen. Zudem soll die Ministerin entgegen der Empfehlungen von Experten keinen Einspruch gegen das Urteil eingelegt haben.

IWF spricht Lagarde Vertrauen aus

Seit August 2011 laufen gegen Lagarde erste Ermittlungen wegen "Beihilfe zur Fälschung" und "Beihilfe zur Veruntreuung öffentlicher Gelder". Lagarde hat ihre Entscheidung, das Schiedsgericht anzurufen und den Spruch zu akzeptieren, als damals "beste Lösung" verteidigt. Die Ermittler haben allerdings den Verdacht, dass Tapie eine Vorzugsbehandlung erhielt, weil er den Konservativen Nicolas Sarkozy im Präsidentschaftswahlkampf 2007 unterstützt hatte.

Tapie sagte der Zeitung "Le Parisien" vom Freitag, die damalige Ministerin habe dem Staat mit der Anrufung des Schiedsgerichts Zahlungen in Höhe von "mehreren Milliarden Euro" erspart. Von der Entschädigungszahlung sei ihm abzüglich der Begleichung seiner Schulden und Steuern "deutlich weniger als 100 Millionen Euro" geblieben.

IWF-Sprecher Gerry Rice teilte mit, der IWF-Verwaltungsrat werde in den kommenden Tagen erneut über den Stand des Verfahrens unterrichtet. Das Gremium sei bereits mehrfach über die Angelegenheit informiert worden und habe jedes Mal sein Vertrauen in Lagardes Fähigkeit bekräftigt, ihren Aufgaben bei der Finanzinstitution gerecht zu werden.

Aus Lagardes Umfeld erfuhr die Nachrichtenagentur AFP bereits vor der Gerichtsentscheidung, dass die IWF-Chefin entschlossen sei, ihr fünfjähriges Mandat voll auszufüllen. Lagardes Vorgänger an der Spitze des IWF, der französische Sozialist Dominique Strauss-Kahn, war 2011 nach Vergewaltigungsvorwürfen zurückgetreten. (AFP/dpa)