Rheinberg. . Die SPD feiert in dieser Woche ihren 150. Geburtstag. Mindestens 100 Jahre davon sind auch mit Familie Rothgang aus Rheinberg verbunden. Wenn Klaus Rothgang erzählt, ist Familiengeschichte auch ein Stück Partei-Historie.

„Da fragen Sie mich was...“ Klaus Rothgang steht vom Sofa auf und geht zum Wohnzimmerschrank. „Ihr wollt mich also mit meinem Parteibuch fotografieren. Tja, ich hab’s auch noch, aber ich weiß nicht wo...“ Er kröst weiter und feiert einen Teilerfolg. „Ach hier, immerhin, das ist meine Ehrenurkunde für 40 Jahre Mitgliedschaft in der SPD. Und hier, gleich daneben, ein Foto von meinem Großvater und meinem Vater, um die geht’s ja auch, die waren ja auch schon Sozis. Und auf diese Familiengeschichte bin ich durchaus stolz.“

So kann die Familie Rothgang im linksrheinischen Rheinberg-Orsoy immerhin 100 der nunmehr 150 Jahre SPD aus sehr persönlicher Sicht schildern. Und es sind mindestens 100 Jahre. Denn von der Generation der Urgroßeltern weiß man halt nicht mehr viel, schon gar nicht über deren politische Ideale. Von Wilhelm Rothgang weiß man dagegen so einiges. Vor allem, was seine Liebe zur SPD anging. Denn er hat sein Leben dafür riskiert.

Der Opa schmuggelte Anti-Nazi-Flugblätter

Enkel Klaus, jetzt auch schon 66, hat die Geschichten als Kind gehört: „Mein Opa war Soldat im 1. Weltkrieg, danach war er bei der Rheinwerft hier in Orsoy als Arbeiter. Und er hat den Nazis hier im Ort richtig eingeheizt.“ Die Familienchronik weiß zu erzählen, dass Wilhelm immer dabei war, wenn die Nazis Prügel bezogen, die Oma wusste zu erzählen, dass da Pistolen im Dachgebälk versteckt waren, mit dem Fahrrad fuhr der wackere Mann bis in die Eifel, um von dort Flugblätter an Rhein und Ruhr zu schmuggeln. „Vatter, Vatter,“ hieß es früher immer am Tisch, „wenn se dich dabei erwischt hätten, hätten se dich sofort an die Wand gestellt“.

„Der wilde Wim“, das war der Spitzname des alten Wilhelm, „der immer dann richtig unkontrollierbar wurde, wenn er eine Ungerechtigkeit mitbekam. Er hat aber zum Beispiel auch mit anderen die polnischen Zwangsarbeiter am Hafen heimlich mit Lebensmitteln versorgt.“ Viele andere Geschichten vom wilden Wim sind verschütt gegangen. „Als Kind habe ich es geliebt, wenn er erzählt hat, das hat er gerne nach einem Schnäpsken gerne. Aber dann zischte Oma nur: ‘Wim, hal de Mull’, Klappe. Ich hab ihn dann später eher als ruhigen Menschen erlebt, der am liebsten Angeln ging. Da ist er auch gestorben, ganz in Stillen, beim Angeln am Kuhteich.“

Der Bürgermeister fragte, ob er nicht in die SPD wollte

Der Sohn heißt auch Wilhelm, 1921 geboren, 2002 gestorben, schon mit 12 Jahren geht er zu den Falken, bleibt ein Leben lang Sozialdemokrat, geht zu Versammlungen, diskutiert, bleibt aber eher passiv, ganz im Gegensatz zum Enkel.

„1968 hatte ich gerade meine Lehre als KFZ-Mechaniker hinter mir und einen Job bei ‘Hilti’ in Essen. Dort bin ich viel mit auf die Demos gegangen. Und hier in Orsoy war Max Schäfer Bürgermeister, ein ganz toller Kerl, der hat mich gefragt, ob ich nicht in die SPD wollte. Das habe ich dann gemacht. Auch wegen der Tradition. Auf meinen Opa war ich schon sehr stolz.“

"Brandt hat uns begeistert"

Es kommen die tollen Jahren. Willy wählen. „Brandt hat uns begeistert. Mitbestimmung, Gleichberechtigung, Friedenspolitik. Der Kniefall in Warschau. Die anderen nannten uns ‘Landesverräter’, diese ‘ewig Gestrigen’. Später habe ich Jürgen Schmude getroffen, bei ihm mitgearbeitet und selbst ein bisschen Karriere gemacht. Vorsitzender vor Ort, 20 Jahre habe ich für die SPD im Stadtrat gesessen.“

Doch die Rückschläge bleiben nicht aus. „Zunächst Helmut Schmidt und der Nato-Doppelbeschluss. Da habe ich gezweifelt. Das war doch Aufrüstung, das wollten wir nicht. Gut, heute habe ich mit Schmidt meinen Frieden gemacht, ganz im Gegensatz zu Gerhard Schröder, den könnte ich wegen der Agenda 2010 noch immer in die Wüste schicken. Das war zwar nicht alles Mist. Aber es hat die SPD gespalten. Zu allem Unglück bin ich bei den Wahlen 99 aus dem Rat geflogen. Wegen Schröders Politik. Das war bitter.“

Ausgetreten wie so viele andere ist er dennoch nicht. „Ich bin Sozi, ich bleib’ das. Mein Herz schlägt links. Klar habe ich manchmal vor allem auf die Grünen geguckt und gedacht: ‘Toll, was die da machen. Auch der Trittin, die Claudia Roth, das sind gute Leute. Beitreten wollte ich denen trotzdem nicht. Ich werde mich auch jetzt im Wahlkampf wieder für die SPD engagieren, auch wenn’s nicht mehr so viel Spaß macht. Früher blieben die Leute am Stand stehen, dann wurde diskutiert, heute hat doch kaum einer noch Interesse. Schade. Vor allem für junge Leute. Man kann so viel bewirken in der Politik.“

Und Steinbrück, der Kandidat?

Wie steht denn denn mit der vierten Generation Rothgang in der SPD aus? „Nein, meine Tochter ist nicht in der Partei. Auch in keiner anderen. Das hätte mich sonst schon genervt. Viellelicht hat sie auch gesehen, dass ich die Partei manchmal über die Familie gestellt habe. Das war ja auch nicht gut.“

Und der Kandidat? Peer Steinbrück? „Ich will mal so sagen: Helmut Schmidt war damals auch nicht so beliebt, heute wird er von allen verehrt. Also mal abwarten.“ Und die Zukunft der Partei? „Die SPD muss sich auf ihre Grundthemen besinnen, vor allem also das Streben nach sozialer Gerechtigkeit. Da gibt’s Nachholbedarf...“

Und dann zählt er all die Themen auf, mit großem Ernst, und man spürt, dass dieser Mann mit ganzem Herzen der SPD gehört.. Ganz egal, wo das blöde Parteibuch nun auch stecken mag...