Berlin. . Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat sich „neuen Schwung“ für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gewünscht. Doch sein großer Koalitionspartner CDU tritt sofort auf die Bremse. Aus Sorge um die Rechte der Christen – und um die eigenen Wahlchancen.

Der Widerspruch ließ nicht lange auf sich warten. Anders als Außenminister Guido Westerwelle wollen CDU und CSU einen EU-Beitritt der Türkei nicht forcieren. Da habe man einen „Differenzpunkt“ zur FDP, räumte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe gestern ein. Zuvor hatte Unions-Fraktionschef Volker Kauder die Türkei aufgefordert, sich ein für alle Mal zur Religionsfreiheit zu bekennen. Vorher könne die EU kein neues Kapitel in den Verhandlungen mit der Regierung in Ankara eröffnen. Kauder gebe eine Position von „ganz vielen“ in der Union wieder und mithin „unsere Skepsis und Ablehnung einer Vollmitgliedschaft“, versicherte Gröhe.

Westerwelle indes hatte sich am Wochenende beim Berlin-Besuch seines türkischen Amtskollegen Davutoglu einen „neuen Schwung“ für den Beitrittsprozess gewünscht. Das war keine diplomatische Floskel oder Höflichkeit. Tatsächlich wird die Frage nach einem Beitritt in Berlin immer wieder gestellt, erst letzte Woche von Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD).

Die Deutschtürken zu umwerben, heißt die Konservativen zu verlieren

Dafür spricht, dass die Türkei wirtschaftlich aufholt, als Tor zum Nahen Osten und zur islamischen Welt immer wichtiger wird und etwa im Syrien-Konflikt eine gewichtige Regionalmacht ist. Ein führender Koalitionspolitiker sagte unserer Zeitung: „Ich sehe in den politischen Eliten eine Mehrheit für einen Türkei-Beitritt, aber nicht in der Bevölkerung.“ Nie und nimmer würde die CDU – quasi im Wahlkampf – ihre Position ändern.

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Die Sympathien, die man im Lager der Deutschtürken gewinnen würde – etwa eine Million Wähler sollen türkischer Abstammung sein –, würde man im konservativen Lager verspielen. Schon die Schwesterpartei CSU würde sich querlegen. CDU-Chefin Angela Merkel ist zwar immer für eine Wende gut. Aber in der Türkei-Frage gibt es dafür keinerlei Anzeichen.

Volker Kauder ist ein Spezialfall. Er gilt als Verteidiger von religiösen Minderheiten. Im Gespräch mit der „FAZ“ hat er sich nicht mit der Türkei auseinandergesetzt, sondern nur seinen Punkt gemacht: Sie solle die EU nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als Wertegemeinschaft verstehen. Wieder einmal hob er auf den Umgang mit den Christen in der Türkei ab – Kauders Kernanliegen.

Mit SPD und Grünen hätte Westerwelle es leichter

Alt-Kanzler Schröder ist beim Thema Türkei ein Überzeugungstäter. Mit der SPD und den Grünen hätte es der liberale Außenminister daher leichter. Merkel würde Westerwelle auch nach einer gewonnenen Wahl und bei einer Neuauflage von Schwarz-Gelb nicht in der Türkei-Frage entgegenkommen. Erst im Februar hatte sie bei einem Besuch in Ankara ihre Skepsis klargemacht. Die Kanzlerin wünscht eine Annäherung, aber keine Vollmitgliedschaft.

Von einer „privilegierten Partnerschaft“ redet Merkel gar nicht mehr. Der Begriff ist verbrannt. Die Türken wollen ganz oder gar nicht in die EU. Merkel fehlt im Prinzip ein tragfähiges Konzept für den Umgang mit der Türkei. Als sie ins Amt kam, hat sie in der Großen Koalition respektiert, dass die EU der Türkei seit Jahrzehnten eine Mitgliedschaft in Aussicht stellt und dass ihr Vorgänger Schröder Verhandlungen zustimmte. Sie hat den Prozess weder gefördert noch gebremst.

Merkels Job machte Jahre lang Nicolas Sarkozy

Das musste sie auch gar nicht. Denn in Frankreich regierte mit Nicolas Sarkozy ein erklärter Gegner eines Beitritts. Der Franzose legte sich quer – Merkel war es recht. Von 35 Verhandlungskapiteln sind 13 eröffnet worden; und nur eines wurde abgeschlossen. Jedes Kapitel steht für ein Thema, Justiz zum Beispiel. Dass nicht nicht läuft, liegt auch an der Türkei. Sie hat keine Eile und will erst recht nicht in die Verlegenheit kommen, sich an Hilfspaketen für den gebeutelten Nachbarn Griechenland zu beteiligen. Seit Beginn der Euro-Krise strahlt der Brüsseler Stern nicht mehr ganz so hell.

Neulich kündigte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an, man könne sich ja den „Shanghai Five“ anschließen, denen Staaten wie Russland, China oder Kasachstan angehören. Das sei mehr augenzwinkernd als drohend, meint Sozialdemokrat Schröder. Mag sein. Daraus sprechen aber ein wachsende Selbstbewusstsein und viel Enttäuschung über die EU.

In Frankreich regiert inzwischen ein Sozialist

In Ankara weiß man, dass ohne die Deutschen und Franzosen nichts geht. In Paris regiert nicht mehr Sarkozy, sondern mit François Hollande nun ein Sozialist. Ein Wahlsieg von Rot-Grün in Deutschland würde wohl dem Beitrittsprozess „neuen Schwung“ verschaffen. Aber das hat Guido Westerwelle nicht im Sinn gehabt.