Neumarkt. . Auf ihrem dreitägigen Parteitag in Neumarkt hat die Piratenpartei ihr Wahlprogramm durchgewinkt. Themen sind unter anderem Grundeinkommen, kostenlosen Bus- und Bahnverkehr und Straffreiheit bei Cannabis-Konsum. Der Streit um Online-Parteitage wird aber bis zur Erschöpfung einzelner Mitglieder geführt.
So angriffslustig war Bernd Schlömer noch nie. Eben hat der Piratenchef mit allen Parteien im Parlament abgerechnet. Nun vergeudet er für eigene Inhalte keine Zeit: So schwört der sonst so zurückhaltende Oberfreibeuter die Internetaktivisten auf den Wahlkampf ein: „Piraten, auf in den Bundestag, es geht jetzt los.“
Aufstehen und Attacke - diese Botschaft wollen die Piraten von ihrem Parteitag in Neumarkt aussenden. Nach dem Absturz in den Umfragen, der öffentlichen Selbstzerfleischung und Pöbel-Attacken im Internet ist es ihre letzte Chance vor der Wahl, einen Neustart hinzulegen und zur Abwechslung mit Inhalten zu glänzen.
Tatsächlich reißen sich die gut 1000 angereisten Internetaktivisten dieses Mal am Riemen. Im Rekordtempo winken sie Kernpunkte im Wahlprogramm per Sammelantrag durch. Etwa das bedingungslose Grundeinkommen, dessen Höhe offen ist. Neben dem kostenlosen Bus- und Bahnverkehr fordern die Freibeuter den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn zwischen 9,02 und 9,77 Euro, Volksentscheide auf Bundesebene, das Verbot von Schnüffelsoftware und Anreize für Stromspeicher. Sie möchten den Besitz von 30 Gramm Cannabis für den Eigenkonsum legalisieren und das kontrollierte Abbrennen von Feuerwerkskörpern in Fußballstadien erlauben. Prostituierte sollen mehr Rechte bekommen und der Begriff „Ehe“ generell durch „eingetragene Lebenspartnerschaft“ ersetzt werden.
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Piraten bleiben vage in der Außenpolitik
„Wir haben nun in allen wichtigen Politikbereichen eine Position“, sagt Schlömer dieser Zeitung. Es ist eine sehr kühne Interpretation. Zwar tasten sich die Freibeuter auch an Themen, zu denen sie bislang keine Meinung hatten. Doch in der Außenpolitik etwa bleiben sie vage. Dort sprechen sie sich für mehr Transparenz und eine Stärkung der Vereinten Nationen aus.
Dennoch findet es NRW-Piratenfraktionschef Joachim Paul „klasse, was wir geschafft haben“. Davon kann bei der Zerreißprobe über die Einrichtung von Online-Parteitagen keine Rede sein. Bis zur Erschöpfung streiten die Freibeuter, ob sie die Ständige Mitgliederversammlung (SMV) einrichten sollen. Damit könnten die Piraten nicht nur auf teuren Parteitagen, sondern im Internet Positionen beschließen. Dies wird vor allem dann wichtig, falls die Freibeuter in den Bundestag kommen sollten und die Abgeordneten rasch entscheiden müssen. Doch in der Partei der Netzaktivisten ist das Verfahren hoch umstritten. Die Gegner halten es für unsicher und sorgen sich um den Datenschutz. Die Befürworter kontern, dass eine Internetpartei ohne digitale Mitbestimmung unglaubwürdig sei.
Chaotische Grundsatzdebatte über Online-Parteitag
Drei Tage lang tobt eine chaotische Grundsatzdebatte. Mehrere Piraten kippen erschöpft um. Doch bis Sonntag findet kein Antrag für einen Online-Parteitag die nötige Zweidrittel-Mehrheit. „Wir sind die Partei, die Angst hat, Entscheidungen zu treffen“, klagt Vorstandsmitglied Klaus Peukert. „Fassungslos“, twittert der Berliner Fraktionschef Christopher Lauer. Letzten Endes ohne Erfolg lassen die Unterlegenen erneut abstimmen. Partei-Vize Sebastian Nerz ist stinksauer. „Das ist eine Farce“, sagt der SMV-Gegner im Gespräch mit dieser Zeitung. Man müsse eine Entscheidung auch mal akzeptieren.