Düsseldorf. . Immer mehr Menschen aus anderen EU-Ländern kehren ihrer Heimat den Rücken, um in Deutschland neu anzufangen. Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen: Die deutsche Wirtschaft profitiert von den vielen gut ausgebildeten Fachkräften. Armutszuwanderung spielt keine große Rolle.

Deutschland scheint sich zum Zuwanderungsmagneten zu entwickeln. Diesen Schluss lassen zumindest die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu. Mehr als eine Millionen Menschen versuchten im vergangenen Jahr hier ihren Neustart in die Zukunft – so viele wie seit 1995 nicht mehr. Auch wenn die meisten Zuwanderer weiterhin aus Polen, Rumänien und Bulgarien stammen, ist der Anstieg bei Migranten aus den südlichen EU-Krisenstaaten Spanien, Griechenland und Portugal erheblich. Die wichtigsten Fragen zur neuen Zuwanderungswelle.

Wer kommt nach Deutschland?

Rund 1,08 Millionen Menschen zogen im vergangenen Jahr nach Deutschland. Aus den Zu- und Fortzügen ergibt sich ein Einwohnergewinn von 369 000 Neu-Bürgern. Etwa 966.000 Zuwanderer waren Ausländer, die übrigen Spätaussiedler oder deutsche Rückkehrer aus dem Ausland. Die meisten Menschen kamen aus Polen (176.000), Rumänien (116.000) und Bulgarien (59.000).

Die Zuwanderungen aus den Euro-Krisenstaaten Griechenland, Italien, Portugal und Spanien erhöhten sich um mehr als 40 Prozent. Besonders stark war der prozentuale Zuwachs zudem aus Slowenien. Die meisten Zuwanderer zieht es nach Bayern (192.000), NRW (186.000), Baden-Württemberg (171.000), Hessen (90.000) und Niedersachsen (89.000).

Auch interessant

Dr. Tobias Blasius CD Korr Düsseldorf
Von Tobias Blasius

Wird Deutschland zum neuen Einwanderungsland Europas?

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht davon aus, dass es sich bei dem starken Anstieg der Zuwanderung um vorübergehende „Umlenkeffekte“ handele. Traditionelle Einwanderungsländer in der EU wie Italien und Spanien seien durch enorme wirtschaftliche Probleme zurzeit nicht in der Lage, weitere Neu-Bürger aufzunehmen. Sollte sich die Wirtschaft dort erholen, werde sich auch der Zuzug nach Deutschland wieder abschwächen.

Gibt es eine Armutszuwanderung nach Deutschland?

Die IAB-Experten beobachten sei 2004 eher eine vermehrte Zuwanderung von Akademikern. Die Neuzuwanderer seien insgesamt besser qualifiziert als der Durchschnitt aller hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. So hätten türkische und nicht-europäische Zuwanderer deutlich seltener berufliche Abschlüsse als Migranten aus der EU. Armutszuwanderung wie in Duisburg, wo 7000 Rumänen und Bulgaren – oft Roma – in heruntergekommenen Wohnungen leben und offenbar Sozialleistungen wie Kindergeld beziehen, seien bundesweite Einzelphänomene. Die Grünen in NRW verweisen zudem darauf, dass 80 Prozent der zugewanderten Rumänen und Bulgaren einer Erwerbstätigkeit nachgehen.

Was geschieht, wenn 2014 die Zugangsbeschränkungen für Bulgaren und Rumänen fallen?

EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien genießen vom 1. Januar 2014 an die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa. Bislang dürfen sie in Deutschland nur vorübergehend leben und lediglich als Selbstständige ihre Leistungen anbieten. Zuwanderungsexperten erwarten einen nochmaligen Anstieg auf bis zu 180 000 Einwanderer. Der Deutsche Städtetag fürchtet eine weitere Migration in die Sozialsysteme. Die Statistik spricht aber eine andere Sprache: Die Sozialhilfequote für Bulgaren und Rumänen ist geringer als bei den Ausländern in Deutschland insgesamt.

Auch interessant

Kann der Arbeitsmarkt die neuen Zuwanderer aufnehmen?

Das NRW-Arbeitsministerium hat zuletzt in einer kommentierten Integrationsstatistik hervorgehoben, dass mehr als 40 Prozent der neu Zugewanderten über die Fach- oder Hochschulreife verfügen. Sie schnitten damit sogar besser ab als Menschen ohne Migrationshintergrund in NRW (38 Prozent).

Gesuchte Zuwanderer sind vor allem Ärzte, Ingenieure und Facharbeiter, die von der Bundesagentur zum Teil sogar vor Ort in Griechenland oder Spanien umworben werden. Auch das Handwerk nimmt Auszubildende aus Südeuropa gerne auf.

Sind eingewanderte Selbstständige aus Osteuropa wirklich eine Bereicherung für den Arbeitsmarkt?

Die hohe Quote der Selbstständigen unter den Zuwanderern aus Osteuropa sorgt weiterhin für Diskussionsstoff. Allein Migranten aus Polen haben in NRW eine Selbstständigenquote von 28,1 Prozent. Die Handwerkskammer Düsseldorf beklagt immer wieder den Missbrauch der Niederlassungsfreiheit durch schlecht qualifizierte Betriebsgründer aus Osteuropa, die zum Teil für einen Stundenlohn von vier Euro arbeiteten.

Vor allem in kaum noch regulierten Branchen wie dem Fliesenleger-, Estrichleger- und Gebäudereinigungs-Gewerbe seien Scheinselbstständigkeit und Sozialdumping keine Seltenheit. Allein im zulassungsfreien Gewerbe der Handwerkskammer Düsseldorf wurden in den vergangenen beiden Jahren 1000 Betriebe von Rumänen und Bulgaren eingetragen. Dabei sollen sich 60 Baufirmen eine einzige Post-Adresse in Düsseldorf teilen.