Berlin. . Bayern-Chef Uli Hoeneß bricht sein Schweigen und erzählt von seinen Seelenqualen, seiner Zockerei an der Börse – und letztlich seiner Schuld. Eine Strategie, um sich von der Öffentlichkeit die Absolution erteilen zu lassen.

Er schläft schlecht, schwitzt in der Nacht, wälzt sich hin und her, die Gedanken kreisen um seinen „Fehler“: Uli Hoeneß spricht erstmals in dieser Steueraffäre über seine Befindlichkeiten. Mit­leid, Erbarmen mit ei­nem Steuersünder könnte man nun empfinden – das sollen wir wohl auch. Es ist der Zweck eines „Zeit“-Interviews.

Zehn Tage lang hatte der Bayern-Präsident geschwiegen. Gegen mediale Exzesse wollte er sich anwaltlich zur Wehr setzen. „Sie können sich vorstellen, dass mir vieles auf der Zunge liegt, aber ich muss erst mit den Behörden meine Hausaufgaben machen“, sagte er nur.

Nun hat er genug Abstand gewonnen und eine Strategie gefunden, die ihm einige ohnehin nahegelegt hatten: ein Geständnis, diesmal nicht fürs Finanzamt – die Selbstanzeige ist geleistet –, aber für die Öffentlichkeit.

Beicht-Interview

Für sein Beicht-Interview guckte er sich die „Zeit“ aus, ein seriöses Wochenblatt. Keine schlechte Wahl. Auch der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von der CSU hatte über die „Zeit“ versucht, wieder gesellschaftsfähig zu werden. Wie einst zu Guttenberg fühlt sich auch Hoeneß ausgestoßen. Er sei „auf die andere Seite der Gesellschaft katapultiert“.

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Dabei sei er doch nur einer wie wir, ein Mensch. Nicht fehlerlos. Wer mag da noch den ersten Stein werfen, wenn er seine „große Torheit“ beichtet, den „Riesenfehler“? Alles, was er macht, hat XXL-Format. Als Manager, als Wohltäter. Als Steuerbetrüger. Gehört nun der reuige Sünder auch in diese Reihe?

Wo soll man anfangen mit dem „ganzen Mist“, den er gern der Kanzlerin im „persönlichen Gespräch“ erklären würde? Vielleicht am 20. März, morgens um sieben. Der Staatsanwalt klingelt an der Tür. Im Bademantel geht Hoeneß zur Tür. „Da begann die Hölle für mich“, erzählt er.

In Wahrheit begann sie spätestens 2001. Damals spekulierte er an der Börse, Tag und Nacht. Zunächst ging es um 50 000-Dollar-Beträge. Dann habe er heftig gezockt. „Das war der Kick, das pure Adrenalin.“ Da spricht ein Süchtiger, auf Nachfrage stellt er klar, er sei nicht krank, doch jahrelang „war ich wohl nah dran.“

Hoeneß „war richtig klamm“

Als die Blase an der Börse platzt, „war ich richtig klamm“. Da bietet sein Freund, der frühere Adidas-Chef Robert-Louis Dreyfuss Hilfe an mit einem Konto „zum Zocken, für nichts anderes“. Dieses Schweizer Konto gehörte „ganz allein Uli Hoeneß“. Ein kalkulierter Passus. Hoeneß will seinen Verein, sein Lebenswerk, schützen. Der FC Bayern habe nichts damit zu tun.

Wenn es rechtlich heikel wird, bleibt er vage. Seinen Fehler will er „so gut wie möglich korrigieren“. Lässt er an sich heran, dass am Ende der Affäre eine Haftstrafe stehen könnte? „Ich kann diesen Gedanken nicht zulassen.“

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Freimütiger erzählt er von seinen Seelenqualen. „Sie glauben gar nicht, was ich alles spüre. Es ist eine Situation, die kaum auszuhalten ist.“ Christoph Daum würde es sofort glauben. Auch ein Süchtiger, auch einer, der durch die Hölle ging und alles aus eigener Erfahrung kennt: negative Gedanken und Gefühle, die Gefahr, depressiv zu werden. Ein Fehler bleibe nur dann ein Fehler, bekannte der Fußballtrainer Christoph Daum dieser Tage, wenn man ihn nicht einsehe, nicht korrigiere, nichts daraus lerne. Daum hat es geschafft, hat seine Kokain-Sucht überwunden.

Hoeneß könnte sogar leichter als Daum sein Lächeln wiederfinden. Er erfährt viel Solidarität. Seine Familie stehe „wie eine Eins“ hinter ihm. Den Verein kann er dazuzählen, nicht jeden im Verwaltungsrat, aber doch Kumpel wie Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge, aktive Spieler wie Arjen Robben, die Fans.

Viele erinnern in diesen Tagen da­ran, wie oft er anderen Menschen geholfen hat. Ein Herz hat er. Ein Riesenherz, möchte man in der Hoeneß-Diktion hinzufügen. „Ich habe Riesenmist gebaut“, gesteht er, aber: „Ich bin kein schlechter Mensch.“ Es ist seine Strategie zur Absolution.

Gauck sauer auf den Sünder

Der Fall Hoeneß treibt viele um, auch den ersten Bürger im Staat. Joachim Gauck war nach eigenen Worten überrascht, ja, erschrocken. Mehr noch: „Ich ärgere mich.“ Denn natürlich ist Hoeneß kein beliebiger Steuerbetrüger. Er ist, besser: er war Sympathieträger. Leider sei es oft so „mit großen Persönlichkeiten im Sport, in der Wirtschaft, in der Politik – viele sind nur Vorbilder auf Zeit“, beklagt der Bun­despräsident im „Stern“. Er fin­det deutliche Worte. „Niemand darf selbst entscheiden, ob er Steuern zahlt“, stellt Gauck klar. Vor allem dürfe es in unserem Land in rechtlichen und moralischen Fragen nicht zweierlei Standards geben, „einen für die Starken und einen für die Schwachen“. Gauck plädiert im Interview für härtere Gesetze und kritisiert: „Wer Steuern hinterzieht, verhält sich verantwortungslos oder gar asozial“.

Gauck spürt offensichtlich, dass vom weiteren Fortgang der Selbstanzeige von Hoeneß viel abhängen wird. Vielleicht wird es zum Testfall für die allgemeine Steuerehrlichkeit. Was sich keineswegs ausbreiten dürfe, mahnt der Bundespräsident, sei das Gefühl, wer nicht trickse, sei selber schuld. „Dieses Gefühl gefährdet unsere Demokratie.“