Frankfurt/Essen. . Es ist auch ein Stück Strukturwandel im Ruhrgebiet. Während bald die letzte Zeche schließt, bedient der börsennotierte Konzern die Weltmärkte. Und dann soll Evonik auch noch dafür sorgen, dass die Folgekosten des Bergbaus bis in alle Ewigkeit finanziert werden.
Grelles Glockengeläut, Applaus hallt über das Parkett in Frankfurt. Auf dem Bildschirm vor Klaus Engel ist gerade der erste Kurs erschienen: 33 Euro. „Jetzt haben wir’s geschafft“, jubelt der Evonik-Chef. Um 9.20 Uhr ist es offiziell. Der Essener Chemiekonzern Evonik ist an der Börse.
Tags zuvor hat Engel noch die Dortmunder Borussia gefeiert. Auf dem Fußballplatz ist Evonik schon seit einiger Zeit als Trikotsponsor präsent, nun will der Konzern auch den Aktienmarkt erobern. „Den Schub, den uns die Borussia gegeben hat, wollen wir natürlich mitnehmen“, sagt Engel ein ums andere Mal an diesem Morgen.
Der Börsengang von Evonik steht auch für den Strukturwandel im Ruhrgebiet. Das Essener Chemie-Unternehmen ist aus dem Bergbaukonzern RAG hervorgegangen und symbolisiert die industriellen Veränderungen der Region. Während die letzte Zeche in absehbarer Zeit die Kohleförderung einstellt, setzt Evonik auf Produkte für globale Wachstumsmärkte. Der Konzern baut Fabriken für Aminosäuren zur Tierfutterproduktion, bedient die Konsumgüter- und Gesundheitsindustrie oder liefert Materialien für Hersteller von Reifen, Kunststoffen oder Babywindeln.
Ruhrgebiets-Patriotismus auf Frankfurter Parkett
Die Evonik-Welt ist bunt, was auch zur grellen Farbe des Konzern-Logos passt. Der dunkle Lilaton wird „Deep Purple“ genannt – und auffällig oft waren am Donnerstag an der Frankfurter Börse Krawatten mit dieser Farbe zu sehen.
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Evonik-Chef Engel versprüht auf dem Frankfurter Börsenparkett jede Menge Ruhrgebiets-Patriotismus. Während andere über die Krisen von Hochtief oder Thyssen-Krupp reden, freute sich Engel darüber, dass mit Evonik ein neues börsennotiertes Unternehmen im Revier entstanden ist. „Das tut dem Ruhrgebiet ganz gut“, sagt Engel. „Es gibt auch wieder Dinge, die wirklich nach vorne gehen.“
Der Börsengang erfüllt auch den Zweck, den Ausstieg aus der Steinkohle-Förderung in Deutschland zu finanzieren. Denn der Evonik-Mehrheitseigentümer RAG-Stiftung mit dem früheren Bundeswirtschaftsminister Werner Müller an der Spitze hat den Auftrag, die milliardenschweren Folgekosten der stillgelegten Zechen zu tragen. Dazu gehört unter anderem, die Wasserpumpen unter Tage bis in alle Ewigkeit in Schuss zu halten.
Der Börsengang – ein Politikum
Auch daher war der Börsengang ein Politikum. Im einflussreichen Kuratorium der RAG-Stiftung sitzen unter anderem NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Kurzum: Ohne den Segen der Politik wäre der Börsengang nicht möglich gewesen.
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Zwei Milliarden Euro haben die RAG-Stiftung und der Finanzinvestor CVC mit dem Aktienverkauf eingenommen, 14,5 Prozent der Evonik-Anteile sind nun in Händen von neuen Aktionären. Erwartet wird, dass sich die Stiftung irgendwann von weiteren Evonik-Aktien trennen wird, damit ihr Vermögen breit gestreut angelegt ist. „Die Stiftung ist gut situiert. Und durch die Börsen-Notierung haben wir für die Zukunft alle Möglichleiten, gute Börsenphasen auszunutzen oder aber uns auf eine gute Dividende zu verlassen“, so beschreibt Helmut Linssen, der Finanzvorstand der Stiftung, die Strategie. Mit dem ersten Aktienkurs lag der Unternehmenswert von Evonik bei rund 15,4 Milliarden Euro, vor zehn Monaten waren es noch zwölf Milliarden Euro.
Der Börsengang von Evonik ist der bislang größte des Jahres. Aber anders als bei Konzernen wie der Telekom, Infineon oder der Post sind zunächst einmal nur Profi-Investoren zum Zug gekommen. Von einem „Börsengang durch die Hintertür“ war die Rede. „Ob Hintertür oder Seitentür – das juckt mich nicht“, sagt Engel. „Es gibt nur Erfolg oder Misserfolg. Und diesmal waren wir erfolgreich.“
„Ein normales Papier wie Bayer, BASF, Eon oder RWE“
Zunächst einmal haben die Evonik-Eigentümer, die RAG-Stiftung und der Finanzinvestor CVC, Aktien direkt an Investoren wie einen Staatsfonds aus Singapur verkauft, erst danach kam es zur Börsennotierung. „Damit spart sich Evonik ein öffentliches Angebot mit entsprechend großem Aufwand“, erläutert Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Sobald der Handel der Aktie eröffnet wird, ist Evonik aber ein normales Papier wie Bayer, BASF, Eon oder RWE. Dann können auch private Anleger einsteigen.“
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33 Euro als erster Aktienkurs – mancher im Evonik-Tross vergleicht es mit dem 4:1 der Borussia gegen Real . Auch Konzernchef Engel liebt Vergleiche von Wirtschaftswelt und Fußball. „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“, sagt er. Natürlich muss die Borussia erst einmal das Rückspiel gegen Madrid gewinnen, um ins Finale zu kommen. Für Evonik könnte der nächste Schritt eine Aufnahme in die Börsenliga MDax sein. Und wer weiß, vielleicht spielt Evonik irgendwann auch in der Champions League. Unter Aktionären heißt sie Dax – Deutscher Aktienindex. Wenn mehr als ein Drittel der Evonik-Aktien an der Börse notiert sind, könnte es soweit sein.