Rom. . Italiens Parteien haben den alten Staatspräsidenten Giorgio Napolitano erneut ins Amt gewählt. Zuvor hatten sie in atemberaubendem Tempo Kandidat um Kandidat zerschlissen. Selbst Politiker stöhnen inzwischen: „Wir sind wie Somalia.“

Nach seiner Wiederwahl zum Staatspräsidenten Italiens will Giorgio Napolitano heute im Parlament die Bedingungen nennen, unter denen er sich von den Parteien zur Fortführung seines Mandats hat drängen lassen. Der 87-Jährige sagte, er hoffe sehr, dass nach ihm nun auch alle anderen politischen Kräfte „ihre Pflichten zur Stärkung der staatlichen Institutionen erfüllen“ würden.

Napolitano war Samstag mit breiter Mehrheit für eine zweite Amtszeit gewählt worden, nachdem sich die Parteien zuvor in fünf Wahlgängen nicht auf ein neues Staatsoberhaupt hatten einigen können.

Napolitano könnte eine eigene Regierung einsetzen

Beobachter rechnen nun damit, dass Napolitano in den nächsten Tagen eine Art „Regierung des Präsidenten“ einsetzen wird. Italienische Medien spekulierten am Sonntag, als Ministerpräsidenten kämen zwei frühere Chefs von Mitte-Links-Kabinetten, Giuliano Amato (74) und Massimo D’Alema (64), in Frage. Italien ist seit der Parlamentswahl vor knapp zwei Monaten ohne gewählte Regierung.

Napolitano, der in den letzten Wochen seines siebenjährigen Mandats stets betont hatte, er wolle auf keinen Fall wiedergewählt werden, hatte sich von den Parteien zum Umdenken bewegen lassen. Die Politiker gelobten in ihren Bittgängen zu Napolitano, in seiner Wiederwahl „ein Zeichen nationalen Zusammenhalts“ setzen zu wollen. Napolitano erhielt 738 von rund tausend Stimmen der Wahlversammlung; gewählt haben ihn Pier Luigi Bersanis Sozialdemokraten, das Mitte-Rechtsbündnis von Silvio Berlusconi sowie die kleine „Bürgerwahl“ um Mario Monti. Vor allem die „Fünf-Sterne-Bewegung“ des Ex-Komikers Beppe Grillo widersetzte sich. Sie hielt an Grillos eigenem Kandidaten fest, dem Jura-Professor und früher obersten Datenschützer Italiens, Stefano Rodotà (80).

Grilo blies seinen „Marsch auf Rom“ gleich wieder ab

Grillo sprach nach Napolitanos Wahl von einem „Staatsstreich“ und rief seine Anhänger zu einem „Marsch auf Rom“ auf, sagte diesen aber kurzfristig wieder ab, nachdem die Polizei schwere Sicherheits­bedenken geltend gemacht hatten. Schon den ganzen Tag über hatten Anhänger Grillos vor dem Parlament lautstark für Rodotà demonstriert.

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Von Paul Kreiner

Die „Fünf-Sterne-Bewegung“ hatte bei der Parlamentswahl stark abgeschnitten und ist derzeit das Zünglein an der Waage, verweigert sich aber jeder Koalition. In einer Pressekonferenz am Sonntag, die er an die Stelle seiner Massendemonstration gesetzt hatte, erklärte Grillo, das System der Parteien­demokratie sei zu Ende; es stehe ihm nur noch „ein Jahr der Agonie“ bevor; Italien liege „mehr in Trümmern als nach dem Zweiten Weltkrieg“. Und auch mit einer „Regierung des Präsidenten“, die wohl nur die „Agenda Monti“ fortschreiben werde, gehe es für Italien nicht voran. Er selbst, sagte Grillo, wolle eigentlich „die Gemüter beruhigen“; er lehne „jede Gewalt“ ab.

Die Demokratische Partei zerbrach über die Wahl

Unterdessen ist die relativ stärkste Kraft im Parlament, die „Demokratische Partei“ (PD) der italienischen Sozialdemokraten, praktisch zerfallen. Die italienische Presseagentur Ansa schrieb am Wochenende: „Keiner weiß, ob es den Partito Democratico angesichts der internen Kriege noch gibt.“

Als erste ging die Ehrenpräsidentin Rosy Bindi; sie protestierte dagegen, dass die eigene Partei den zunächst beklatschten Romano Prodi in der geheimen Wahl zum Staatspräsidenten am Ende torpedierte. Am Samstag erklärte dann der gesamte Parteivorstand um Pier Luigi Bersani seinen Rücktritt. Einige Abgeordnete stöhnten: „Wir sind eine Art Somalia geworden; ein bewaffneter Stamm kämpft gegen den anderen.“

Querschüsse aus der Kulisse, wieder einmal

Unter den Querschüssen aus den Kulissen war am Donnerstag zuerst der von den Sozialdemokraten aufgestellte Präsidentschaftskandidat Franco Marini gefallen. Am Freitag Abend folgte Prodi. Auch gegen ihn war eine Intrige im Spiel, wieder einmal. Und alle geben allen die Schuld: Der linke PD-Flügel, heißt es, sei den Sirenengesängen des Politikrebellen Beppe Grillo erlegen und sei zu dessen Kandidaten übergelaufen.

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Dann heißt es, der junge, gegen Bersani rebellierende Matteo Renzi habe Prodi zunächst vehement gefordert, um ihn dann – zum Imageschaden des Parteichefs und zugunsten seines eigenen Aufstiegs – im entscheidenden Augenblick zu versenken.

Italiens Bürger übrigens schienen am Wochenende auf Seiten Beppe Grillos zu stehen: In einer Umfrage des unabhängigen Nachrichten­senders „Sky TG 24“ sprachen sich 74 Prozent gegen Napolitanos Wiederwahl aus.