Essen. Nach den Abitur-Prüfungen in Mathe formiert sich der Widerstand der Schüler weiter. Mehrere Tausend Schüler sind der Protest-Gruppe bei Facebook beigetreten. Manche von ihnen fürchten gar um ihr Abitur. Vor allem die Matrizen-Aufgaben waren „der Horror“, da sind sich fast alle einig.

Der Ärger der diesjährigen Abiturschüler um die Klausur in Mathematik reißt nicht ab. Minütlich wollen weitere Schüler in die Facebook-Gruppe „Protest gegen Mathe Abiturklausur ’13“ beitreten. Schülerin Dilara, die Gründerin dieser Gruppe, kommt mit dem „Bewilligen“ fast nicht hinterher.

Mehrere Tausend Mitglieder zählt die Gruppe bereits. „Mit so einem Zulauf hätte ich nicht gerechnet“, sagt die 19-Jährige. Aber es zeige auch, dass die Probleme mit der Matheklausur nicht einzelne beträfen, sondern in ganz NRW die Schüler zum Verzweifeln bringen.

„Ich bin eigentlich positiv gestimmt zu der Klausur gegangen“, erzählt Dilara. Sie habe immer gerne Mathe gemacht, fühlte sich gut vorbereitet vor der Grundkurs-Klausur. Ihre Vorbenotung: Zwei minus. Deshalb war die Schülerin des Riesener-Gymnasiums in Gladbeck auch guter Dinge. „Wenn man eine Teilaufgabe nicht hat - mein Gott.“ Doch diese Einstellung änderte sich schnell.

Abi-Protest: Löhrmann schaltet sich ein

Nach dem Protest tausender NRW-Schüler gegen die zentrale Abiturprüfung in Mathematik hat sich Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) eingeschaltet. Sie habe die Aufgabenkommission beauftragt, schriftlich Stellung zu nehmen, so ihr Ministerium.

Analysis, lineare Algebra mit Vektorrechnungen und Matrizen-Aufgaben standen auf dem Blatt der Grundkurs-Klausur vor ihr. Schon beim Blick auf die erste Analysis-Aufgabe habe sie einen Schrecken bekommen: „Das war der Horror“, erinnert sich Dilara. „Man wusste gar nicht, wo man anfangen sollte.“ Sie versuchte sich an die Worte des Vaters zu erinnern: Nicht nach dem ersten Blick verzweifeln, sondern erstmal durchatmen und in Ruhe draufschauen. Doch es half nicht. „Wir standen da wirklich alle mit offenem Mund.“

Einser-Schülerin ist im Leistungskurs schockiert

Entsetzt ist auch die 19-jährige Aljona immer noch. Die Schülerin aus Greven strebt einen Abi-Schnitt von 1,5 an und ist, so kann man wohl sagen, eine sehr gute Schülerin. Sie belegt den Leistungskurs in Mathe. Doch auch sie ist schockiert, als die Aufgabenstellungen verteilt werden - begleitet mit der Vorwarnung des Lehrers, dass, anders als von ihm angekündigt, doch keine Matrizen-Aufgaben vorkommen. Denn die seien also so schwer gewesen, dass er sie aussortieren musste.

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Von Hayke Lanwert und Birgitta Stauber-Klein

„Die Matrizen-Aufgabe ist normalerweise ein Punktelieferant“, erklärt Aljona. Dafür brauche man nicht so viel Zeit – anders als bei der Analysis. Doch die LK-Lehrer an dem städtischen Gymnasium hätten gemeinsam entschieden, dass die Matrizen-Aufgaben einfach zu schwer gewesen wären. Sie entschieden sich dagegen. So musste Aljona gleich zwei Analysis-Aufgaben lösen. Und dabei seien die Formulierungen zudem nicht eindeutig gewesen, in einer Kontroll-Lösung habe in einer Funktion eine Konstante gefehlt, bemängelt die 19-Jährige.

Mathematik-Lehrer bietet Schülern seine Hilfe an 

„In keinem anderen Bundesland gibt es so viel Ärger um widersprüchliche Aufgabenstellungen wie in NRW“, sagt Mathe-Lehrer Martin Wabnik und versteht den Grund dafür nicht. Der Mathematiker hat den Schülern der Facebook-Seite seine Hilfe angeboten.

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Er selbst unterrichtet nicht an einer öffentlichen Schule, sondern per Video. Die Aufgabenstellungen der diesjährigen Prüfungen liegen ihm nicht vor, und die seien nun entscheidend. Einige Schüler versuchen derzeit, die Aufgaben aus der Erinnerung zu rekonstruieren. Doch das hilft Wabnik nicht weiter. Der Stoff sei durchaus das, was als bekannt vorausgesetzt werden könnte. Die genaue Aufgabenstellung sei entscheidend.

„Leider hat niemand die Aufgabenstellung“, sagt Dilara, „nur die Lehrer, und die dürfen sie nicht rausgeben.“ Sie bittet das Ministerium, die Aufgabenstellung zur Prüfung von unabhängiger Stelle herauszugeben.

Ministerium sieht keine Fehler auf seiner Seite

Martin Wabnik macht ihr wenig Hoffnung: „Das Ministerium wird nichts herausgeben wegen der Gefahr der Beeinflussung der Korrekteure.“ Doch er bietet seine Hilfe an, falls doch jemand die Aufgabenstellung anonym an ihn weiterleiten würde. Dann möchte er ein Gutachten erstellen, ob der Protest der Schüler begründet ist. Eine Sprecherin des Schulministeriums hatte am Donnerstag jeden Fehler zurückgewiesen: „Die Klausuren sind korrekt, und nur darum geht es.“

Auch auf der Protest-Seite im Internet schreiben einzelne Schüler, dass die Aufgaben gut lösbar waren. Die meisten sehen das dort aber anders. Von nicht gut verständlichen Aufgabenstellungen berichtet Dilara. Und von Zeitmangel. Denn die Analysis-Aufgaben waren prinzipiell lösbar, gibt Dilara zu. „Aber eine Freundin hat allein zweieinhalb Stunden an der ersten Aufgabe gesessen“, so Dilara. Blieben noch 30 Minuten für die anderen Aufgaben.

Es sei Stoff abgefragt worden, der im Unterricht nicht behandelt wurde 

In der Vorabi-Klausur hätten alle noch gut abgeschlossen, Matrizen und Analysis hatten sie drauf. Deshalb hatte auch ihr Lehrer gesagt, dass er Matrizen-Aufgaben favorisiert. Doch von der Schwierigkeit der Aufgaben waren laut Dilara auch die Lehrer an ihrer Schule überrascht. Untereinander hätten sie diskutiert, dass die Aufgaben so für die Schüler kaum zu schaffen waren, das berichtet zumindest Dilara.

„Das, was dieses Jahr in der Matrizen-Aufgabe dran kam, ist noch nie drangekommen“, davon ist die Abiturientin überzeugt. Schließlich habe sie in der Vorbereitung die Klausuren der vergangenen Jahre durchgerechnet. Und auch im Unterricht hätten sie und ihre Mitschüler das nicht durchgenommen. „Das ist einfach frustrierend“, sagt sie nun und atmet tief aus.

Demonstration am Dienstag in Düsseldorf

Denn viele Möglichkeiten haben die Schüler derzeit nicht. Sie haben eine Petition gestartet, wollen am Dienstag ab 12 Uhr vorm Ministerium in Düsseldorf demonstrieren. Ihre Hoffnung: Die Klausur soll nachgeschrieben werden.

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Und die Abitur-Prüfungen sind noch gar nicht überstanden. Die Schüler müssen nach vorne blicken. Aljona muss bereits am Montag die Grundkurs-Prüfung in Sozialwissenschaften meistern. „Ich bin von der Mathe-Klausur noch komplett irritiert und kann mich noch gar nicht aufs Lernen für die nächste Prüfung konzentrieren.“

Dilara hat es da zumindest etwas besser. Sie muss erst zur mündlichen Prüfung wieder ran – am 7. oder 8. Mai. Bisher hat sie dafür den Kopf noch nicht frei, denn nach der missglückten Mathe-Klausur hat sie plötzlich Angst um ihr Abitur. „Ich wollte immer einen Abi-Durchschnitt von 2,5 erreichen“, sagt sie, „aber im Moment kämpfe ich darum, mein Abitur überhaupt zu bekommen.“ 100 Punkte muss sie dafür erreichen. „Der NC spielt da keine Rolle mehr. Wir Schüler haben einfach nur Angst.“