Los Angeles. Ben Afflecks “Argo“ ist der beste Film des Jahres, Daniel Day-Lewis und Jennifer Lawrence die besten Hauptdarsteller: In Los Angeles sind am Abend zum 85. Mal die Oscars verliehen worden. Was vom roten Teppich, den Dankesreden und rührenden Momenten in Erinnerung bleibt - eine subjektive Rückschau.
Aus. Vorbei. Vorhang zu. Die 85. "Oscars" sind Geschichte. Mit den Preisen für "Argo" als dem besten Film und für Daniel Day-Lewis für die beste männliche ("Lincoln") und Jennifer Lawrence ("Silver Linings") für die beste weibliche Hauptrolle ging am frühen Morgen deutscher Zeit im Dolby Theater von Los Angeles die jährliche Leistungsshow Hollywoods zu Ende.
Bis auf Frau Lawrence, die auf dem Weg zum Podium kurz strauchelte vor Aufregung, verlief alles nach Drehbuch. Jedenfalls so ungefähr. 500 Millionen Menschen (und mehr) haben an den Fernsehschirmen gesessen und dreieinhalb lange Stunden zugesehen. Wir auch. Eine subjektive Auswahl der schönen und schöneren Momente. Und der anderen auch - von Dirk Hautkapp.
Beste Szene auf dem roten Teppich:
Das Wie-geht's-und-von-wem-ist-der-Fummel-den-Sie-tragen-Ping-Pong zwischen Stars und Mikrofonhalterinnen gehört zu den entwürdigendsten Ritualen jeder Oscar-Nacht. Manchmal ereignet sich jedoch Erhabenes in der engen Boxengasse der Unterhaltungsindustrie. Vorausgesetzt, Nicole Kidman ist gerade nicht da.
Diesmal war es Hugh Jackman. Die unter einer Überdosis Adrenalin stehende und sehr kleine Moderatorin des exklusiv übetragenden Sender ABC wollte vom muskelbepackten Beau auf den Arm genommen worden. Jackman griff zu. Ehefrau (deutlich schwerer) rechts von ihm schaut bedröppelt. "Wolverine" packt sie ebenfalls. Dann verzerrt er das Gesicht. Hätte sich fast einen Bruch gehoben.
Bestes Kleid:
Blassrosaperlenfarbenes von Prada, getragen von der "miserablen" Anne Hathaway. "Von vorn geschäflich, von hinten (rückenfrei...) Party". Sagt sie selber.
Beste Antwort auf dem roten Teppich:
Kam von der Mutter von Bradley Cooper. Moderatorin fragt zum gefühlt 115. Mal: Und, welchen Schneider tragen Sie heute? Antwort: Och, weiß nicht, ich hab's einfach aus dem Schrank genommen."
Bester Überraschungsgast:
Ernest Hemingway. Kam direkt vom Meer, der Alte. Halt, stopp, es war doch nur George Clooney. Aber dieser grauer Seebär-Bart. Täuschend ähnlich.
Samuel L. Jackson unübertroffen als Oscar-Verleiher
Bester Oscar-Verleiher:
Die Liste der hochmögenden Menschen, die selbst keinen abkriegen, sondern der buckligen Kollegenschaft einen übergeben müssen, wollen oder sollen, war diesmal besonders stattlich. Nicole Kidman und Reese Witherspoon, Meryl Streep und Renée Zellweger, Richard Gere und Robert Downey Jr. lieferten bei der Aushändigung der goldenen Kerlchen solide, stillvolle Handlangerdienste. Unübertroffen: Samuel L. Jackson. Brombeerrotes Samt-Jackett, Schalk aus allen Poren, diabolisch wie in Django Unchained. "Gib ihm endlich das verdammte Ding", sagte der weise, schwarze Mann. Und fertig.
Beste Dankesrede:
Muss immer noch gehalten werden. Einstweilen war die von Anne Hathaway für die beste weibliche Nebenrolle in "Les Misérables" gar nicht so übel. Weil so vorhersehbar und stromlinienförmig. Professionell, ein bisschen heulsusig und sehr vollständig, was die Namen der vielen Helfer in Regie und Produktion anbelangt. Außerdem vergaß sie am Ende ihren Ehemann nicht. Namen schon wieder vergessen. Natürlich tollster Kerl der Welt und so, was dachten Sie denn? Korrektur: Was Ang Lee, überraschend Preisträger für die beste Regie für "Life of Pi - Schiffbruch mit Tiger" gesagt hat, war an demütiger Würde schwer zu toppen.
Bester erratischer Augenblick:
John Travoltas Ansage für eine Gesangseinlage. Der Mann ist eindeutig zu viel bei Scientology gewesen. Oder in seiner Privat-Boing umhergeflogen. Und diese Botox-Spritzen im Gesicht. Pulp Ficton, das war einmal.
Bester Einfall der Oscar-Regie:
Als ein paar Spezialeffekte-Fachleute, die von "Life of Pi" waren es wohl, ihre Dankesredezeit überzogen, spielte die Regie zum ersten Mal die sägende Titelmelodie von "Der Weiße Hai" ein. Schnapp. Kurz danach war der Ich-hab-euch-alle-so-lieb-Arm ab und die Kamera zeigte auf was anderes.
Bestes Gesicht, Lächeln, Frisur - und überhaupt:
Charlize Theron... u-m-w-e-r-f-e-n-d. Leider gar keinen Oscar gekriegt. Nicht mal einen. War ja auch nicht nominiert. Warum eigentlich nicht? Buh.
Seth MacFarlane durchlöchert die politische Korrektheit der Oscars
Beste Szene von Oscar-Moderator Seth MacFarlane:
Es gab viele. Der schmähbegabte Cartoon-Zeichner, Film-Produzent und Komödiant brachte bei seiner Premiere zum Start den Grantel-Großmeister Tommy Lee Jones zum Lachen, was verdammt nicht einfach ist, und spielte hernach mit Hilfe von Raumschiff-Enterprise-Käpt'n-Kirk mit den seit Wochen gehandelten Vorurteilen über seine Befähigung, unfallfrei durch den notorisch langatmigen Trophäenverteil-Marathon zu führen. Völlig falscher Alarm.
Die Kleider der Oscarverleihung
Macfarlane hat die politisch Korrektheit der Veranstaltung regelmäßig durchlöchert. Zwischendurch sang er über ganz viele berühmte Brüste, holte George Clooney unterhalb der Gürtellinie vom Sockel, schleppte augenzwinkernd die wunderbare Sally Fields ab und verspritzte mit Unschuldsmiene Vitriol. Die Kritiken heute werden ihn wohl etwas zerreißen. Er hat also alles richtig gemacht. Winzige Einschränkung: Ständig selber Beifall zu klatschen, ist langweilig. Hände in die Hosentaschen, Seth!
Bester geräuschloser Aussetzer im Publikum:
Jack Nicholson. Abgedunkelte Sonnenbrille, rote Fliege, Halbschlaf, Mund offen, friedlich, ganz versunken nach dem grandiosen Lakers-Sieg gegen die drittklassige Nowitzki-Truppe am Vorabend in seinem eigenen kleinen Kuckucksnest. Oscar - war das was? Später lief der Großartige doch noch zu großer Form auf, leitete live ins Weiße Haus zu Michelle Obama über. Die Präsidenten-Gattin stellte (in hinreißender Garderobe) gemeinsam mit Old Jack die für den besten Film nominierten Werke vor.
Bester erster österreichischer Moment:
Hat der vielleicht ein Abo bei den mehrheitlich weißen, männlichen und über 60 Jahre alten Mitgliedern der "Academy of Motion Picture Arts and Sciences"? Christoph Waltz kriegte den ersten Preis des Abends ab. Als bester Nebendarsteller. Für seinen Dr. King Schultz in Quentin Tarantinos Django Unchained. Schon wieder Waltz, schon wieder (nach Inglourious Basterds, 2009) mit Tarantino, der später den Preis für das beste Drehbuch abräumte. Schöne Geste.
Waltz ratterte ganz viele Namen herunter, bedankte sich bei seinen granatenguten Konkurrenten Tommy Lee Jones, Robert de Niro, um nur zwei zu nennen, mit einem ehrlich gemeinten und formvollendeten Diener. Hatten die auch verdient.
Beste Tochter als Begleitung:
Jamie Foxx, neben Waltz die zweite tragende Säule in "Django Unchained", brachte die 19-jährige Corinne mit. Und schaute jeden Kerl auf dem roten Teppich präventiv so an, als wollte er ihn am liebsten gleich versklaven, falls irgendwer nach der Telefonnummer fragen sollte...
Bester zweiter österreichischer Moment:
Vor drei Jahren war er mit "Das weiße Band" nominiert. Diesmal stand Michael Haneke ganz oben. Für seinen wunderbar altersweisen Film "Liebe" (in Zeiten des nahenden Todes) mit der großartigen, 86 Jahre alten Emmanuelle Riva bekam er völlig zurecht den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Mit breitem Wiener Akzent bedankte sich der 70-Jährige ganz ruhig bei vielen und seiner Frau im Publikum. "Du bist das Zentrum meines Lebens." Österreich, gut hast du's.
Jury kann sich nicht einigen - zwei Oscars für Ton-Effekte-Abmischung
Beste ungewöhnliche Entscheidung, über die morgen schon keiner mehr spricht:
Beim nachträglichen Ton-Effekte-Abmischen konnte sich die Jury zum ersten Mal seit Urzeiten nicht einigen. Also bekamen "Zero Dark Thirty" und "Skyfall" jeweils einen Goldjungen. Wenn's hilft.
Bester Robert-de-Niro-Spruch:
"Ich mag Menschen, die mich mögen." Sagte der Mime mit Taxi-Driver-Miene aus Verlegenheit und um die Zeit zu überbrücken. Ungekämmt und zerknautscht. Herrje, er weiß es doch auch nicht besser.
Bester Gänsehaut-Moment (musikalisch):
Gab natürlich mehrere. Erst wickelte Shirley Bassey das Publikum musikalisch um James Bonds "Gold Finger". Erstmals Applaus im Stehen. Für einen Augenblick war Adele vergessen. Aber nur für einen. Später jagte die Britin live mit der "Skyfall"-Titelmelodie, die auch den Preis für den besten Song bekam, den Zuhörern einen Schauer nach dem nächsten über den Rücken. Jennifer Hudson hatte kurz zuvor live und kraftvoll den gesamten Saal des frisch renovierten Dolby-Theaters an die Wand gesungen
Einsamer aber kurzer Höhepunkt nach über 35 Jahren Oscar-Abstinenz: Barbra Streisand. Silberblick, Adlernase , alles noch da. Und eine Stimme, die man nie vergisst. "The Way We Were" von Marvin Hamlisch, ihrem alten Freund und Wegbegleiter. Akuter Tempotaschentuch-Verbrauch. Selbst die Live-Orchester-Musiker applaudierten ergriffen.
Bester Oscar-Moment (filmisch):
Es gab zwei. Als Daniel Day-Lewis Geschichte schrieb und feuchte Augen bekam. Als erster Schauspieler kann der irisch-amerikanische Ausnahme-Darsteller auf drei Oscar-Trophäen als bester Hauptdarsteller verweisen. Sein "Lincoln", der bei zwölf Nominierungen am Ende nur eine kleine Ernte einfuhr, bewegt nicht nur Amerikaner. Sondern Geschichtsfreunde und Freiheitsfreunde auf der ganzen Welt.
Zweiter Augenblick: Als Ben Affleck, der als beste Regisseur gar nicht die Nominierungsrunde überstand, für das Iran-Geiselbefreiungsdrama "Argo" den Preis für den besten Film bekam. Affleck, aufgeregt bis zum Anschlag, redete viel zu lang und quer durch den Garten. Aber nah ging's einem doch.