Düsseldorf. . Sitzungen bis in die tiefe Nacht, Tagesordnungen in Meterlänge – viele Fraktionen, Gruppen und Parteien ziehen das Verfahren in die Länge und bremsen kommunale Politik. Vielen geht die Zersplitterung der kommunalen Parlamente zu weit. Doch eine Sperrklausel lässt sich nicht juristisch durchsetzen. Sie wäre mit der Verfassung unvereinbar.

Die Kleinen kommen, wie es aussieht, wieder groß raus: Alles spricht dafür, dass es bei der Kommunalwahl 2014 in NRW nun doch keine Sperrklausel geben wird – also keine Prozent-Hürde, die freien Wählergemeinschaften oder extremen Parteien, aber auch FDP oder Linken den Einzug in Stadträte und Kreistage verwehren könnte. Denn die Sorge, erneut vor dem Verfassungsgericht zu scheitern, schreckt die Befürworter einer Klausel ab. Eine Mehrheit für eine Beschränkung ist nicht in Sicht.

Von den Spitzenpolitikern im Landtag meldete sich zuletzt einzig CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann zu Wort. Mit einer Drei-Prozent-Klausel, befand er, ließe sich „wieder Struktur in ausufernde Sitzungen von Kommunalparlamenten mit vielen Splitterparteien“ bringen. Wie sie rechtlich sauber verankert werden könnte, sagte er nicht. Weder aufgeblähte Tagesordnungen der Räte, die bis in den späten Abend abgearbeitet werden müssen, noch angeblich drohende „Weimarer Verhältnisse“ vermögen Skeptiker zu überzeugen.

„Die Arbeit im Rat zerfasert,praktisch jeder redet mit“

Zu ihnen zählt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Marc Herter, für den eine Novelle des Wahlgesetzes „mit großen Risiken behaftet“ wäre. „Wenn wir einen Anlauf machen, muss er verfassungsmäßig wasserdicht sein“, sagt Herter, „sonst lassen wir’s.“ Zwar kann er politisch einer Sperrklausel einiges abgewinnen. Doch Rechtsgutachten, die von seiner Fraktion eingeholt wurden, raten ab. Auch im Innenministerium zeigt man keine Neigung zu Veränderungen.

Seit der Verfassungsgerichtshof 1999 die Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen gekippt und 2008 auch die „Mindestsitzklausel“ von umgerechnet einem Prozent beseitigt hat, weil es eine „Ungleichgewichtung der Wählerstimmen“ erkannt hatte, herrscht in den Räten reichlich Betrieb. Nach CDU-Rechnung genügen in einer Kommune von 24.000 Einwohnern schon 150 Stimmen, um ein Ratsmandat zu erlangen. In Mönchengladbach – einer Stadt mit immerhin 250.000 Bewohnern – war 2009 ein Sitz bereits für 1100 Wählerstimmen zu haben.

Neun Gruppierungen im Essener Rat

Die Folgen sind in Räten und Kreistagen an Rhein und Ruhr zu besichtigen. Dort drängen sich heute durchschnittlich acht Fraktionen, Gruppierungen oder Einzelmitglieder – zum Beispiel im Kreis Recklinghausen oder in Dortmund, obwohl dort die Piraten nicht einmal bei der Wiederholungswahl 2012 antreten durften. Im Essener Rat versammeln sich sogar neun verschiedene politische Farben. Im Extremfall bringen es einzelne Städte auf bis zu 13.

„Die Arbeit zerfasert, wenn praktisch jeder mitredet“, kritisiert der Politik-Professor Emanuel Richter. Er klagt, dass auch „die Verwaltungseffizienz beeinträchtigt“ werde und plädiert deshalb für eine Sperrklausel auf niedrigem Niveau. Doch der Verzicht darauf ist gängige Länder-Praxis. Nur die Bremer Bürgerschaft (5 Prozent) und die Bezirksverordnetenversammlung in Berlin (3 Prozent) leisten sich noch Hürden.

Kleine Parteien haben kein Interesse

Der Verein „Mehr Demokratie“ ist strikt dagegen, dass NRW „die Uhr wieder zurückdreht“. Dabei verweist Geschäftsführer Alexander Trennheuser auf das Verfassungsgericht. Es hatte für die Einführung einer Sperrklausel zur Bedingung erklärt, dass Räte ohne Prozent-Hürde „funktionsunfähig“ wären, das heißt: nicht arbeiten können. Dieser Nachweis könne nicht geführt werden. Für die SPD pflichtet Herter bei: Wenn der Rat in Köln oder Essen bis nach Mitternacht tage, mag das zwar ermüdend sein, sei aber verfassungsrechtlich nicht von Belang.

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Die Vorgaben des Gerichts mit „Tricks“ zu umgehen, lehnt er ab. „Wir werden nicht am Auszählungssystem herumdoktern“, warnt Herter vorsorglich. Auch der Städte- und Gemeindebund sowie der Landkreistag halten eine neue Sperrklausel rechtlich nicht für machbar. Kleine Parteien wie die Piraten haben daran ohnehin kein Interesse.