Ruhrgebiet. .

In den Stadtparlamenten im Ruhrgebiet gehören Splitterparteien inzwischen zum Alltag. Das Werben um Mehrheiten ist ein mühsamer, aber dafür umso demokratischer Prozess.

Der Mensch gewöhnt sich an vieles, auch an wechselnde Mehrheiten im Stadtparlament. Knapp ein Jahr nach den Kommunalwahlen in NRW läuft die Ratsarbeit in den meisten Städten routiniert und unaufgeregt. Kleine Parteien oder Wählergemeinschaften gelten längst nicht mehr als Exoten. Mancherorts entpuppten sie sich aber auch als Strohfeuer.

Demokatischer Prozess

Dabei war der Erregungspegel mächtig angestiegen, als nach der Kommunalwahl 2004 die altehrwürdigen Räte über Nacht ziemlich bunt wurden. Begünstigt durch den 1999 beschlossenen Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde saßen Leute auf den Ratsbänken, die mit dem üblichen Politikbetrieb nichts am Hut hatten, für mehr Transparenz und Aufklärung sorgen wollten. Oder von Einzelinteressen getrieben wurden.

So waren in Duisburg nicht mehr fünf, sondern neun Parteien im Rathaus am Burgplatz vertreten, Es dauerte eine Weile, bis sich die Lager sortiert hatten. Schwarz-Grün setzte sich durch. Seit dem 30. August 2009 sind neben SPD, CDU, Grünen, Linken und FDP nur noch eine Wählergemeinschaft und ein fraktionsloser Abgeordneter vertreten. Adolf Sauerland (CDU), durch die Loveparade-Katastrophe schwer angeschlagener OB, hatte zwar die Oberbürgermeisterwahl gewonnen, muss aber mangels Ratsmehrheit bei jeder Entscheidung um die Zustimmung der anderen Fraktionen buhlen. Nicht anders sieht es in vielen Städten aus. Festgefügte Blöcke, die ihre Linie durchziehen können, haben Seltenheitswert. Es muss um Mehrheiten geworben werben. Ein mühsamer, aber dafür umso demokratischer Prozess.

Erfolg für das Bürgerforum in Witten

Hat sich der Wegfall der Sperrklausel ausgezahlt? Rainer Pastoor, Fraktionsgeschäftsführer der Duisburger Christdemokraten, gibt sich diplomatisch: „Die Praxis zeigt, dass es mit den Kleinen irgendwie geht.“ Es sei sicher leichter und berechenbarer, mit weniger Gruppierungen im Rat zu arbeiten. „Wahrscheinlich auch preiswerter.“ Will wohl sagen: Wer die Mini-Fraktionen ins Boot holen will, muss ihren Forderungen entgegenkommen. Unterm Strich hofft Pastoor darauf, dass doch wieder eine Sperrklausel eingeführt wird. „2,5 Prozent, das wäre ein moderater Wert.

Generell zeigten sich die Wähler im August 2009 weniger experimentierfreudig als fünf Jahre zuvor. Auch in Witten zogen weniger Parteien als zuvor in den Rat ein. Und ein Neuling landete einen Riesencoup. Das Bürgerforum errang auf Anhieb fünf Mandate.

Finanznot als Lustkiller

Als Lustkiller im Politikbetrieb erweist sich mehr und mehr die Finanznot der Ruhrgebietsstädte, von denen fast jede einen Nothaushalt hat und sich faktisch die Herausgabe jeder Büroklammer genehmigen lassen muss. Wer gestalten will, braucht dazu Geld. Nicht selten zerschellen die Blütenträume der Kleinen an der normativen Kraft der faktischen Pleite einer Kommune.

Karl-Rudolf Korte von der Duisburger NRW School auf Governance hält deshalb nicht viel vom kompletten Wegfall der Sperrklausel. „Politik braucht verlässliche Koalitionen und professionelle Akteure. Stattdessen sitzen in vielen Räten Leute ohne professionelle Aura, die Entscheidungen blockieren“, sagte er dieser Zeitung vor einem Jahr.

Mitunter kommt es sogar zu Kooperationen, die kaum jemand auf dem Zettel hatte. In Oberhausen benötigte die seit Urzeiten allein regierende SPD einen Koalitionspartner. Doch nicht die Liberalen wurden erkoren, sondern die Grünen, die noch zuvor im Wahlkampf offen mit der CDU geflirtet hatten. Eine arrangierte rot-grüne Ehe, bei der die Landes-SPD vermutlich ein Wörtchen mitgeredet hatte.