Berlin/Düsseldorf. Für akademische Abschlüsse gibt es keine einheitlichen Kriterien - obwohl der Bund laut Grundgesetz dafür zuständig ist. Die Folgen spürt Bundesbildungsministerin Annette Schavan gerade. Sie hat selbst “Flüchtigkeitsfehler“ eingeräumt, weist den Vorwurf der Täuschung aber nach wie vor von sich.
Während in der Universität Düsseldorf am Dienstag erneut über die Rechtmäßigkeit des Doktortitels von Annette Schavan (CDU) beraten wurde, weilte die Bundesbildungsministerin im 8800 Flugkilometer entfernten Pretoria. Hier ein bilaterales Gespräch mit ihrem südafrikanischem Amtskollegen Derek Hanekom, dort ein Briefing in der deutschen Botschaft. "Bloß kein Selbstmitleid" - so Schavans Devise - die versucht, ihren Amtsgeschäften so normal wie möglich nachzugehen. Trotz des nunmehr seit neun Monaten laufendem zähen und quälenden Plagiatsverfahren um ihre 1980 eingereichte Dissertation "Person und Gewissen".
Das einzig Ungewöhnliche: Am ersten Tag ihrer seit langem geplanten Südafrika-Reise gab es keine Fototermine und keine Begegnung mit der Presse. Schavan wird abgeschirmt. Das ungewöhnlich lange Prüfverfahren durch die Uni und die drohende Aberkennung ihres Doktortitels zehren an ihren Nerven. Alles andere wäre wahrlich auch ein Wunder.
Fakultätsrat schirmt sich ab
Doch auch der Philosophische Fakultätsrat der Universität hatte sich am Dienstag abgeschirmt. Getagt wurde diesmal im Erdgeschoss des Dekanats. Zwei Stockwerke drüber, in der Verbundbibliothek, lagert auch Schavans Doktorarbeit, die seit Mai 2012 von anonymen Plagiatsjägern im Internet aufs Korn genommen wird.
Schavan räumt inzwischen selbst "Flüchtigkeitsfehler" ein. Doch den Vorwurf der Täuschung weist sie nach wie vor von sich. "Inzwischen dreht sich die Debatte um eine sehr grundsätzliche Frage. Ab wann spricht man in der Wissenschaft von einem Plagiat?", sagte Schavan jüngst der Ulmer "Südwest Presse". Und weiter: "So schmerzlich diese Geschichte jetzt für mich ist: Wenn daraus ein gemeinsames Verständnis und ein Kodex zum wissenschaftlichen Umgang mit Plagiatsvorwürfen entstünde, dann wäre das ein gutes Ergebnis."
Große Unterschiede bei den Abschlüssen
Seit Jahren ist bekannt, dass bei der Bewertung von akademischen Abschlüssen nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von Universität zu Universität und auch von Fakultät zu Fakultät große Unterschiede klaffen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat sich zwar auf allgemeine Empfehlungen zur Qualitätssicherung wissenschaftlichen Arbeitens verständigt. Doch der Spielraum für Einzelentscheidungen ist nach wie vor groß.
Dass die Universität Düsseldorf allein "Herr des Verfahrens" ist und auch bei der Prüfung ihre eigenen Kriterien und Zeitvorstellungen heranziehen kann, hat Schavan allerdings zum Teil auch selbst mitverursacht. Mit der Grundgesetzänderung von 2006 wurde ausdrücklich dem Bund die Zuständigkeit für die Sicherung der Hochschulabschlüsse wie der Studienzulassung übertragen. Schavan versuchte zwar, das alte, mit der Föderalismusreform nicht mehr benötigte Hochschulrahmengesetz des Bundes aufzuheben - was ihr die SPD in der großen Koalition vereitelte. An ein neues, bundesweit gültiges Abschluss- und Zulassungs-Rahmengesetz wagte sich die Bundesministerin dann nicht mehr heran. Sie fürchtete unangenehmen Widerstand - vor allem aus den unionsgeführten Bundesländern.
Zahl der Plagiate ungewiss
Über 25 000 Doktortitel werden derzeit pro Jahr an den Unis neu eingereicht. Über Ablehnungen, Plagiate oder Täuschungsversuche bei Forschungsarbeiten wird nirgendwo Buch geführt. Es gibt nur Schätzungen. Gelegentlich sickert durch, dass eine abgelehnte Arbeit anderswo eingereicht wurde. Handelt es sich nicht um prominente Plagiatsfälle, wie etwa der des CSU-Nachwuchsstars Karl-Theodor zu Guttenberg oder der FDP-Europa-Politikerin Silvana Koch-Mehrin, so werden Täuschungsversuche allenfalls dann publik, wenn sie vor dem Verwaltungsgericht landen.
Der Fall der Bundesbildungsministerin hat zumindest in einem Teil der Wissenschaft Forderungen ausgelöst, dass zur Sicherung der Promotionsqualität künftig mehr getan werden muss - und auch fakultätsübergreifende Standards erforderlich sind. Kommt es in der Wissenschaft nicht zu einer übergreifenden Verständigung, wird nach der Fülle der prominenten Fälle der Gesetzgeber in der nächsten Wahlperiode gefordert sein. (dpa)