Berlin. . FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle soll eine Journalistin an der Bar bedrängt haben. Mit Sätzen wie „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.“ Der lebenslustige Politiker, der schon so manche Weinkönigin küsste, hat nun ein Image-Problem. Klar ist aber auch: Triebgesteuert war Politik immer.

Rainer Brüderle schweigt. Er soll eine Journalistin bedrängt haben. An der Bar. Vor Zeugen. Peinlich, für den FDP-Fraktionschef wie für seine Partei. Erst letztes Jahr war Brigitte Susanne Pöpel, damals Vize-Chefin der Liberalen Frauen, aus der Partei ausgetreten, weil dort ein „frauen- und familienfeindlicher Ton“ herrsche.

Den Ruf hat Brüderle bei Frauen seiner Fraktion auch. Unter den Politikern, die ihn gestern in Schutz nahmen, waren viele Männer, aber nur eine Frau, Elke Hoff. Die äußerte sich nicht zum Vorwurf selbst, sondern zu der Veröffentlichung des „Stern“.

Das Porträt des „spitzen Kandidaten“ wirft ein Schlaglicht auf den Sexismus in der Politik; und stellt die Frage, was noch privat ist. Weit über die Politik hinaus könnte es auch eine Debatte darüber auslösen, was im beruflichen Verhältnis von Männern und Frauen angemessen oder inakzeptabel ist.

Nur Interesse für die Oberweite

Auf der Facebook-Seite des „Stern“ sind fast 300 Kommentare. Für die einen ist es ein Tabubruch, endgültig, nachdem sich zuletzt schon Annett Meiritz vom „Spiegel“ gegen Gerüchte zur Wehr gesetzt hatte, sie verschaffe sich „mit Körpereinsatz Informationen“ über die Piratenpartei. Für die anderen ist Brüderle aber Opfer einer Kampagne.

Auch interessant

Die 29-jährige „Stern“-Reporterin Laura Himmelreich beschreibt nämlich eine Episode, die über ein Jahr alt ist. Ihr Magazin passte den idealen Zeitpunkt ab, um Brüderle ins Visier zu nehmen. Jetzt, wo er FDP-Spitzenkandidat werden soll, wird er als Mann dargestellt, der aus der Zeit gefallen ist. Himmelreich beschreibt, wie sie 2012 am Vorabend des Dreikönigstreffens an der Bar mit ihm über Politik reden will. Aber Brüderle, ein Glas Wein in der Hand, hat nur einen Blick für ihre Oberweite. „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.“ Den zotigen Ton wird er beibehalten. Später sagt sie „Herr Brüderle, Sie sind Politiker, ich bin Journalistin.“ Er: „Politiker verfallen doch allen Journalistinnen.“

Alle Schwerenöter sind gewarnt: Künftig müssen sie damit rechnen, dass Belästigungen nicht privat bleiben. Der „Stern“ steht zur Story. Journalistinnen seien „kein Freiwild“, so Chefredakteur Thomas Osterkorn.

Über Sex und Macht

Triebgesteuert war Politik immer. Als die Grünen in den 80er-Jahren in den Bundestag kamen, forderte ihre Abgeordnete Waltraud Schoppe die Herrenrunde im Hohen Haus auf, „den täglichen Sexismus hier im Parlament einzustellen“. Zur Wahrheit gehört auch, dass einige Redaktionen gern junge attraktive Journalistinnen ins Testosteron-übersäuerte Milieu entsandten; wohl nicht nur wegen des spezifisch weiblichen Blickes auf die Politik. Vor Bigotterie wird gewarnt. Da konnte es passieren, dass ein SPD-Chef eine Newcomerin am Ende einer Reise einlud, anders als der Rest der Delegation mit ihm Segelfliegen zu gehen. Wenn die Nähe journalistisch von Vorteil sein kann, so hat sie doch für Frauen auch eine Kehrseite: eindeutige Angebote.

Über Sex und Macht hat die Ex-Spiegel-Journalistin Ursula Kosser ein Buch geschrieben mit drastischen Beispielen für Anmache. „Darf ich heute Dein Innenminister sein“ lautete das Angebot eines – Außenministers. Eine Journalistin, die mit dem damaligen Kanzler Willy Brandt ein Verhältnis hatte, musste nach jedem Schäferstündchen zum Rapport zu ihrem Büroleiter. „Vor der Tür lauerten so manche Kollegen, auch ich, spitzten die Ohren bis zur Halsstarre“, erinnert sich der frühere Korrespondent Reimar Oltmanns.

So war das, früher beim „Stern“.