Essen. . Aus Angst vor Bio-Terrorismus hatten Wissenschaftler ihre Arbeit an einem extrem gefährlichem Vogelgrippe-Virus gestoppt. Jetzt wollen Virologen wieder forschen. Im Labor war ein sehr aggressives Virus entstanden, das viele der Versuchstiere tötete. Es könnte auch für Menschen gefährlich sein.

Als vor fast genau sieben Jahren an der Ostsee die Schwäne tot umfielen war bald klar: Das aggressive Vogelgrippe-Virus H5N1 hat Deutschland erreicht. Zwar ist es für den Menschen bislang kaum ein Risiko, da die Ansteckungsgefahr gering ist, doch ist man infiziert, beträgt die Überlebenschance nur fifty-fifty. Seit 2003 zählte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit 610 Erkrankungen, mehr als die Hälfte der Menschen starb.

Die toten Schwäne von Rügen versetzten Politiker, Behörden und Mediziner in Alarmbereitschaft. Was passiert, wenn das Virus sich verändert und lernt, von Vögeln auf Menschen überzuspringen? Eine Pandemie mit Millionen Toten wäre die mögliche Folge.

Die meisten Tiere steckten sich an

Diese Sorge trieb Ron Fouchier ins Labor. Der Forscher vom Erasmus Medical Center in Rotterdam wollte wissen, welche genetischen Veränderungen und Mutationen nötig sind, damit Erreger auch auf dem Luftweg übertragen werden kann – das schlimmste Szenario. Ergebnis: Nicht sehr viele. Die Forscher veränderten das Erbgut des Virus und testeten jede neue Variante an Frettchen, deren Atemwege wie die des Menschen funktionieren. Eines Tages waren die meisten Tiere in seinem Labor erkrankt oder tot – der Erreger hatte begonnen, von Käfig zu Käfig zu springen. Fouchier hatte das „Killervirus“ erschaffen.

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Als Fouchier am 12. September 2011 bei einer wissenschaftlichen Tagung in Malta von seinen Ergebnissen berichtete, fielen die Kollegen fast vom Stuhl. Es begann sofort eine hitzige Debatte über die Konsequenzen der Arbeit, über die Freiheit der Forschung und den Schutz der Bevölkerung. Dürfen solche tödlichen Erreger künstlich erschaffen werden? Mit welchem Ziel und mit welchen Gefahren?

Sorge in den USA

Vor allem in den USA waren die Sorgen groß: Soll man die Ergebnisse überhaupt veröffentlichen? Wenn sie in die Hände von Bio-Terroristen gelangten, wäre die ganze Welt erpressbar. Auch Fouchier schien plötzlich zu befürchten, die Kontrolle über seine Schöpfung zu verlieren. So beschlossen er und 39 weitere führende Virologen Anfang 2012, die Arbeiten weltweit vorerst ruhen zu lassen. Man wollte Zeit gewinnen, um die Sicherheit der Labore zu überprüfen und den Menschen den Sinn der Forschungsarbeit zu erklären.

Jetzt ist die Pause beendet, die Forschung wird fortgesetzt. „Wir erklären das Ende des freiwilligen Moratoriums“, verkündeten die 40 Virologen am Donnerstag in den beiden großen Wissenschaftsmagazinen „Science“ und „Nature“. „Wir haben die Ziele in einigen Ländern erreicht und wir sind kurz davor, sie in weiteren Ländern umzusetzen“, erklärte die Gruppe. Dazu zählen sie vor allem die neuen Leitlinien der WHO zum Umgang mit gefährlichen Viren. Eine weltweit einheitliche Regelung für Sicherheitsstandards gibt es allerdings nicht.

Wichtige Forschung

Deutschen Virologen ist die Gefahr, die von einem mutierten Vogelgrippe-Virus ausgeht, völlig klar. Auch die Möglichkeit, dass dieses Wissen in falsche Hände geraten könnte, sei real. „Doch man muss die Bedrohung durch das Virus kennen“, sagt Prof. Jörg Timm, Virologe am Uniklinikum Essen. „Wir müssen wissen, wie man darauf reagieren kann, um antivirale Medikamente, Impfstoffe und Therapien zu entwickeln.“ Genau dies sei ja die Idee von Fouchier gewesen und nicht, ein tödliches Virus zu bauen. Der Nutzen für die Menschen würde am Ende die Risiken überwiegen, so Timm.

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Von Christopher Onkelbach

Die gleiche Ansicht vertritt Prof. Stephan Ludwig, Virologe an der Uni Münster. Die Sterblichkeitsrate durch H5N1 sei erschreckend hoch. Sollte es sich verändern und so ansteckend werden wie die Schweinegrippe oder die Human-Influenza, wäre dies eine Katastrophe. „Was im Labor gemacht wurde, kann in der Natur jeden Tag passieren“, so Ludwig. „Bei Grippeviren kann man beinahe sicher von Mutationen ausgehen.“ Gerade deshalb seien die Forschungen so wichtig: „Wenn wir nicht weiter daran arbeiten, können wir im Ernstfall nicht schnell genug reagieren. Man kann nur kämpfen, wenn man seinen Feind kennt.“