Hannover. Die Tage des liberalen Parteichefs Philipp Rösler schienen gezählt, das Drehbuch für seinen Sturz war bereits geschrieben - aber die Niedersachsenwahl hat eindrucksvoll bewiesen, dass angekündigte Katastrophen selten eintreffen.
Angekündigte Katastrophen treffen meist nicht ein – oder gehen zumindest glimpflich ab. So mag es auch der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler empfunden haben, als er gestern die ersten Zahlen der Landtagswahl in Niedersachsen auf den Tisch bekam. Fast zehn Prozent der Stimmen erreichten die schwer angeschlagenen Liberalen. Wie das?
Hatten die Meinungsumfragen der letzten Wochen die FDP bundesweit doch von einem Tief ins nächste torkeln sehen. Zuletzt waren sie in einer Forsa-Umfrage bei schlappen zwei Prozent gelandet. Auch in Niedersachsen hatte die Landespartei lange Zeit Mühe, in den Stimmungsumfragen über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Der vorzeitige Rücktritt von Parteichef Rösler schien nur noch eine Frage von Tagen. Und nun, an diesem frühen Wahlabend von Hannover, kratzten die Liberalen sogar an der Zweistelligkeit. Die rund 200 Liberalen, die sich in der spanischen Kneipe „Barcelona“ trafen und auf das Schlimmste eingerichtet waren, konnten ihr Glück kaum fassen.
Offensichtlich ist die Zweitstimmenkampagne, die der FDP-Vorsitzende Rösler in den letzten Wochen gefahren hatte, aufgegangen. Selbst der Ministerpräsident, David McAllister von der CDU, hatte in den letzten Wochen des Wahlkampfs ja hier und da anklingen lassen, ein paar Leihstimmen für den vermeintlich schwächelnden Regierungspartner im Landtag von Hannover wären gar nicht so schlecht.
Gemischte Gefühle bei der CDU
Dass die Wähler diesen Aufforderungen in so großem Maße Folge leisten würden – damit hatte man aber nicht gerechnet. Die Analysten der Forschungsgruppe Wahlen sprachen am Sonntag von einem "Last-Minute-Transfer im schwarz-gelben Lager": 80 Prozent der aktuellen FDP-Wähler wählten eigentlich CDU.
Ein Grund für das Ergebnis: Laut den Untersuchungen von Infratest-Dimap entschieden sich 30 Prozent der niedersächsischen Wähler – also fast jeder Dritte – erst in den letzten drei Tagen vor dem Wahlsonntag, bei welcher Stimme sie ihr Kreuzchen letztlich machen würden. Da konnten die Zweitstimmenkampagnen noch ziehen.
Bei der CDU ließ der Überraschungserfolg des bisherigen Regierungspartners dagegen am frühen Abend eher negative Gefühle aufkommen: Die Christdemokraten hatten am Ende doch zu viele Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Wahl eingebüßt. Vielleicht war dies das letzte Quentchen, das zum Regieren fehlte.
Schaden durch den Kanzlerkandidaten?
Viele christdemokratische Bürger hätten diesmal FDP gewählt, meinte ein leicht zerknirscht drein schauender Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Sie hätten damit offenbar „das bürgerliche Lager stützen“ wollen.
Stefan Weil, Spitzenkandidat der niedersächsischen SPD und Herausforderer von Ministerpräsident McAllister, war am Ende der Sieger des Abends. Möglicherweise hatte er sich noch ein paar Prozentpunkte mehr erhofft vom Wahlabend. Nicht auszuschließen, dass das Stimmungstief, in das der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in den vergangenen Wochen gerutscht war, auch den Hannoveraner Weil ein Stück mit hinabgezogen hatte. „Es hat in den letzten Wochen keinen Rückenwind aus Berlin für Niedersachsen gegeben“, musste auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles eingestehen. Nun - am Ende hat es gereicht - das wird den Sozialdemokraten neuen Schwung geben für den Bundestagswahlkampf.
Piraten müssen draußen bleiben
Während die Grünen ihr bestes Landtagswahlergebnis in Niedersachsen überhaupt bejubelten, mussten die Piraten erkennen, dass auch für die neue Partei die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Nach den Hochflügen von Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein blieben sie diesmal bei rund zwei Prozent hängen. „Es hat nicht gereicht“, musste ein zerknirschter Spitzenkandidat Meinhart Ramaswamy einräumen.