Essen. Die Wahlen nahen und mit ihnen die Ratlosigkeit. Lang ist der Wahlzettel, kurz ist der Verstand. Was verbirgt sich hinter der „Partei für Soziale Gleichheit, Sektion der Vierten Internationale“? Warum will die "BüSo" die "Eurasische Landbrücke"? Fragen über Fragen. Wir haben Antworten.

Vor kurzem erst haben wir die Kommunalwahlen hinter uns gebracht, schon steht die nächste Stimmabgabe ins Haus. Am 27. September soll sich der Bürger wieder in die Kabine bemühen. Unentschlossene verfallen bereits beim Gedanken daran in lähmende Starre. So viele Namen, so viele Zahlen… Wir haben Ihnen etwas Lesearbeit abgenommen und ein paar Parteiprogramme gewälzt. Folgen Sie uns auf eine Expedition zu Polit-Biotopen, die weit entfernt von den ausgetretenen Pfaden der deutschen Parteien-Demokratie blühen!

Vermehrungsanreize durch Rentenpolitik

Beginnen wir musikalisch. Liebhabern deutschen Liedgutes dürfte die Partei mit dem schönen, wenn auch nicht kurzen Namen „Ab jetzt… Bündnis für Deutschland, für Demokratie durch Volksabstimmung“ aus dem Herzen singen. Die Partei fordert eine Deutschquote von mindestens 80 Prozent im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. WDR 4 für alle!

Auch Klimawandel-Bekämpfer und Technik-Enthusiasten finden hier eine politische Heimat. Wir freuen uns auf eine „Magnetschwebebahn zwischen Ballungsgebieten, Vorbereitung und Aufnahme eigener unbemannter Weltraumfahrt“ sowie die „Energieversorgung durch Erdwärme in den Zechen von Rhein und Ruhr und dem Saargebiet“.

Überhaupt ist der Gründer und Vorsitzende Dr. Helmut Fleck ein Meister einfacher Lösungen. Die Bevölkerung veraltet? Kein Problem wenn der Staat die rechten Vermehrungs-Anreize setzt: „Wenn die Kinderlosen genau so viel für die Rente aufbringen müssten wie die Familien mit Kindern, würden sich die Kinderlosen auch selbstverständlich Kinder anschaffen.“ Sie neiden dem Wirtschaftsminister den Mitarbeiterstab? Alles eine Frage der Kompetenz! „Minister müssen Fachleute sein. Berater, Gutachter und Sachverständige sind dann überflüssig.“ Und wenn alle Arbeit haben, dann lösen sich soziale Probleme einfach in Luft auf: „zerrüttete Ehen, verwahrloste Kinder und Kinderarmut [sind] kein Thema mehr“.

Akws und die "Eurasische Landbrücke"

Klimamüde wären bei der „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ gut aufgehoben. Die „BüSo“, wie sie sich selbst liebevoll kürzelt, stimmt kraftvoll mit ein in das „Nein zum Schwindel der ‚menschengemachten Klimaerwärmung’“. Wir hätten nun eigentlich ein Bekenntnis zum Kohlekraftwerk erwartet, aber nein: „Kernkraft statt Windräder“ lautet das Schlagwort. Ein „Netz von Transrapidstrecken, Kernkraftwerken und Entwicklungskorridoren“ soll als „Eurasische Landbrücke“ die ehemalige Sowjetunion mit Westeuropa verbinden.

Bei aller Hoffnung auf eine strahlende Zukunft geben sich die Bürgerrechtler aber keineswegs als geschichtsvergessene Gesellen: Im Gegenteil, politisch wollen sie anknüpfen an den Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendete. Ansonsten hofft man auf eine Renaissance der klassischen Kultur – Platon und Leibniz finden sich sonst in wohl keinem Wahlprogramm wieder.

Sprachschätzchen im Parteiprogramm

Den geistlichen eher statt den geistigen Niedergang des Abendlandes möchte die „Christliche Mitte“ (CM) aufhalten. Zumindest sprachlich gelingt ihr die Zeitreise, am Wahlprogramm hätte Martin Luther noch seine helle Freude gehabt, denn die CMler formulieren ihre Thesen „in der Erkenntnis, dass alle in unserer Zeit beklagten Übel erwachsen sind aus der Abwendung vom göttlichen Willen, den ER in Seinen Geboten auf dem Berg Sinai geoffenbart hat.“

Ansonsten sprechen sich die religiösen Traditionalisten für den Heimunterricht aus, gegen „Homosex“ („Du sollst nicht Unkeuschheit treiben!“) und für „christliche Sitte und Ordnung.“ Wenn sich das holde Geschlecht erst zu einer „bewussten Gestaltung ihres Lebens als Frau und Mutter“ entschieden hat und Muslime das freundliche Angebot, „in ihre Heimat“ zurückzukehren, angenommen haben, wird alles gut.

Verwandte im Geiste findet die Christliche Mitte bei der „Partei bibeltreuer Christen“. Wo Gebet als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gilt, ist von Politik wenig zu lesen. Einen Kreuzzug allerdings führen die PBCler mit Vehemenz: „Mit der Rückkehr aus weltweiter Zerstreuung und der Gründung des Staates ISRAEL auf biblischem Boden haben die Juden als rechtmäßige Erben das Land nach jahrhundertealter Fremdherrschaft durch nichtjüdische Völker wieder von Gott zurückerhalten.“ Ach ja, und das Leiden von Kindern „in den staatlichen Schulen unter einer gottlosen, neomarxistisch ausgerichteten Erziehung“ will die PBC wie auch die CM durch Heimbeschulung lindern.

Preußen als Bundesland

Weniger Innerlichkeit, dafür aber nationale Zucht und Ordnung versprechen die Republikaner. Über die trübe Gegenwart würden sie gern den Glanz vermeintlicher historischer Glorie drapieren: Neben der Wiedereinführung der D-Mark, der „Wiederbelebung deutschen Liedgutes“ und des „Zuchthauses für Schwerverbrecher“ macht man sich für die Erlernung der Nationalhymne durch alle Schüler stark – ob es auch um alle Strophen geht, bleibt leider unklar. Die „Widerherstellung Preußens als Bundesland“ ist da nur konsequent, auch wenn das dazugehörige Königshaus unerwähnt bleibt. Rechts von den Republikanern kommt dann noch die NPD. Und rechts von der NPD kommt, wenn überhaupt, ein schwarzes Loch.

Und links? Links kommt Lafo. Den wollen Sie nicht? Dann wählen Sie doch ganz links! Denn keiner formuliert es entschiedener als die „Partei für Soziale Gleichheit, Sektion der Vierten Internationale“ (PSG): „Seine übelste Form findet der Niedergang der sozialreformistischen Politik in der Linkspartei Oskar Lafontaines.“ Wenn das kein Geheimtipp ist!

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