Newtown. . Nach jedem Amoklauf diskutiert Amerika über schärfere Waffengesetze. So ist es auch nach dem Drama an der Grundschule von Newtown mit 20 toten Kindern. Geändert hat sich bisher nichts. Der Einfluss der Waffen-Industrie ist ungebrochen.
Der Kinosaal in Aurora, der Sikh-Tempel in Wisconsin nun eine Grundschule in Connecticut – Amokläufe mit vielen Toten hat Amerika in diesem Jahr mehrfach gesehen. Und nach jedem Massaker folgte das gleiche Ritual: Waffengesetze verschärfen – ja oder nein?
Eine fruchtlose Diskussion. Am Ende geschah nichts. Forderungen nach Einschränkungen beim Zugang zu Schusswaffen, der – je nach Bundesstaat – nach unterschiedlich langen Wartezeiten und einer nicht immer gründlichen Prüfung des persönlichen Hintergrundes erfolgt, zielen stets auf die National Rifle Association (NRA). Die vier Millionen Mitglieder starke Lobbygruppe hat bis heute alle Versuche abgewehrt, das seit über 220 Jahren in der Verfassung verbriefte Recht substanziell einzugrenzen.
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„Da eine gut organisierte Miliz für die Sicherheit eines freien Staates erforderlich ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden“, steht dort geschrieben. 2010 hat der Oberste Gerichtshof diesen Satz im Sinne der Waffen-Lobby quasi unter Naturschutz gestellt. Ein Resultat: In fast allen Bundesstaaten ist das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit erlaubt. Noch am Tag vor dem Massaker in Connecticut hat das Parlament in Michigan das Tragen von lizenzierten Waffen in Schulen gestattet.
„Lasst mehr Waffen auf den Markt!“
Nach jedem neuen Blutbad warnt die NRA davor, die Schreckenstat zu politisieren. Schließlich, so der Vorsitzende Wayne LaPierre, verhalte sich die überwältigende Mehrheit der Waffenbesitzer friedlich und gesetzestreu. Sein Schluss zielt in die andere Richtung: „Bewaffnet die Aufseher in Schulen, Universitäten, auf Flughäfen und in anderen öffentlichen Einrichtungen, lasst mehr Waffen auf den Markt – dann haben Amokläufer keine Chance.“
Nirgends auf der Welt sind mehr Waffen in privatem Besitz als in den USA. Forschungsinstitute gehen von rund 300 Millionen Stück aus. Jährlich sterben etwa 30 000 Amerikaner durch Waffengewalt, die Hälfte durch Selbstmord. Die Wahrscheinlichkeit, in den USA erschossen zu werden, ist statistisch 19 Mal höher als in der EU.
Zehn Millionen Waffen pro Jahr
Pro Jahr werden zehn Millionen neue Waffen in Amerika verkauft. Nach Amokläufen steigt die Nachfrage regelmäßig an – aus Angst, Washington könne den Waffenkauf einschränken. Waffen sind zudem ein enormer Wirtschaftsfaktor. „Gun Fairs“, Verkaufsmessen für Waffen aller Art, sind Publikums-Magnete. Der Jahresumsatz der Branche liegt bei vier Milliarden Dollar.
Weil die Gegner um die Waffenverliebtheit ihrer Landsleute wissen, zielen ihre Forderungen nicht auf Verbote. Sondern auf erschwerten Zugang zu Waffen und den Bann von halbautomatischen Schnellfeuerwaffen, wie sie auch Adam Lanza in Newtown benutzt hat.
Um geistig labile Menschen von Waffen fernzuhalten, müsse zudem die Prüfung der Anträge durch das FBI vor dem Waffenkauf um einen Eignungstest erweitert werden. Von zehn Millionen Anfragen pro Jahr vor einem Waffenkauf werden laut einer Studie im Schnitt heute nur 0,05 Prozent negativ beschieden.
„Wann, wenn nicht jetzt?“
Tatsache ist aber, dass bei nahezu allen Amokläufen der letzten Jahre geistig zum Teil schwer gestörte Täter am Werk waren, die teilweise legal durch Kauf an ihr Mordwerkzeug kamen. Die Hoffnungen der Waffengegner ruhen nach dem Massaker von Newtown auf Präsident Obama. Ohne den Druck einer Wiederwahl in vier Jahren, könne sich der Präsident als „Speerspitze der Vernunft“ erweisen, sagt Dan Gross, Chef der Brady-Kampagne. Sie ist benannt nach dem 1981 bei dem Attentat auf Präsident Ronald Reagan schwer verletzten Pressesprecher James Brady. Gross sagt, was viele Amerikaner fühlen: „Wenn einen neuen Anlauf gegen die Waffen-Lobby machen – warum nicht jetzt?“
Auch Deutsche horten Waffen
Die Gefahr durch illegal gehortete Waffen ist nicht allein ein amerikanisches Problem. Bis zu 40 Millionen nicht gemeldete Waffen sind nach Schätzungen in Deutschland vorhanden. Dazu lagern sieben Millionen legale Waffen in Wohnungen, Kellern, Sportheimen, Schützenhäusern. 2,5 Millionen Bundesbürger haben für sie eine Waffenbesitzkarte. Nirgendwo in Europa sind mehr Waffen unterwegs.
Selbst bei den angemeldeten Waffen haben die Behörden bislang keinen Überblick, wo wie viele Pistolen oder Gewehre vorhanden sind – es gibt keine zentrale Stelle, wo die Informationen über die legalen Waffen gebündelt sind. Die Informationen sind in 551 verschiedenen Behörden erfasst, die aber nicht alle untereinander verknüpft sind.
Nationales Waffenregister
Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kündigte deshalb kürzlich an, dass zum 1. Januar 2013 ein nationales Waffenregister die Arbeit aufnehmen werde. Knapp vier Jahre nach dem Amoklauf von Winnenden, in dessen Folge die Neuerfassung legaler Schusswaffen und deren Besitzer beschlossen wurde, können Sicherheitsbehörden die Informationen damit erstmals in einer zentralen bundesweiten Datenbank per Mausklick abrufen.
Trauer in Newtown
In Winnenden hatte im März 2009 ein 17-Jähriger 15 Menschen mit der Waffe seines Vaters – ein Sportschütze – umgebracht, bevor er sich selbst das Leben nahm. (ds)