Essen. . „Aufsteiger, Absteiger, Absahner“ – dem reißerischen Untertitel zum Trotz ging es in Frank Plasbergs „Politiker-Check 2012“ angenehm sachlich zu. Christian Wulff wurde von einer selbstkritischen Journalistenrunde beinahe rehabilitiert; Kanzlerkandidat Peer Steinbrück räumten die Teilnehmer wenig Chancen gegen Merkel ein.
Verdienen Politiker zuviel? Oder sind die Deutschen eine kleinliche Neidgesellschaft? Um diese Fragen ging es bei Frank Plasberg gleich mehrfach. Aufhänger waren – natürlich – die Vortragshonorare des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. 25 000 Euro hatte er für ein 90-minütiges Gespäch im chronisch klammen Bochum bekommen. War das OK? Da gingen die Meinungen auseinander. Werner Hansch, der Moderator des betreffenden Talks, warnte vor zuviel Selbstgerechtigkeit: „Wer von Ihnen hätte das Geld nicht genommen, wenn es Ihnen angeboten worden wäre?“ Das klang nach common sense, war aber nicht der Punkt. Immerhin bezieht Steinbrück ein Abgeordnetengehalt. Vier parlamentarischen Reden in drei Jahren stehen 89 bezahlte Auftritte gegenüber. Das warf – unabhängig von 1,2 Millionen Euro an Honoraren – eher die Frage auf, was eigentlich Steinbrücks Hauptberuf ist.
Ein anderer Politiker wurde beinahe rehabilitiert. Im Fall Christian Wulff räumten die Journalisten Fehler ein. „Mit Sicherheit war da auch viel Häme im Spiel“, gab Kolumnist Hajo Schumacher zu. „Aber in der Beziehung sind die Medien auch nur ein Spiegel der Gesellschaft“. Roger Köppel, Chefredakteur der Schweizer „Weltwoche“, übernahm die Außenperspektive: „Viele der Vorwürfe wirkten auf mich wie Petitessen.“ Ob es wirklich welche waren, muss sich zeigen. Tatsache ist, dass nach monatelangen Untersuchungen und 20 000 abgehefteten Seiten gerade mal eine Hotelrechnung ungeklärt ist. Und die hat Wulff mittlerweile bezahlt. Also alles die Schuld der Medien?
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Journalisten sehen bei Wulff und Steinbrück schlechte Kommunikation
Ganz so einfach sah es die Runde nicht. BamS-Redakteurin Anna von Bayern verwies auf Wulffs ungeschickte Versuche, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen: „Natürlich waren viele Journalisten empört über seinen Anruf bei der 'Bild'“. Das tröpfenweise Zugeben von Vorwürfen half auch nicht gerade. Andererseits, so Weltwoche-Mann Klöppel, dürften die Medien nicht den Fehler machen, moralische mit strafrechtlichen Verfehlungen zu verwechseln. Am Ende diagnostizierten die Journalisten bei Wulff und Steinbrück ein ganz ähnliches Problem: schlechte Kommunikation.
„Steinbrück ist ein hochintelligenter Mann, aber für mich ist er sowas wie ein guter Stabsoffizier“, urteilte Köppel. „Ich würde ihm nicht das Kommando über ein ganzes Land geben.“ Der Kanzlerkandidat sei zu dünnhäutig, ihm fehle das Fingerspitzengefühl. Das sah Hajo Schumacher ähnlich. Steinbrück habe noch nie eine Wahl gewonnen und sei letztendlich von einem Kanzler a.D. zur Kandidatur gedrängt worden: „Wenn Helmut Schmidt der Weihnachtsbaum ist, ist Peer Steinbrück die Gurke, die unten dran hängt.“ Das schiefe Bild konnten Werner Hansch und SPD-Mitglied Ingo Appelt nicht auf sich sitzen lassen. Sie empfahlen Steinbrück als Sachpolitiker und echte Merkel-Alternative.
Leicht wird er es nicht haben, da waren sich alle einig. Köppel lobte vor allem Merkels Geschick in der Euro-Krise: „Sie handelt in dieser Zeit mit einer entschlossenen Subtilität, die mich beeindruckt. Und wir wissen, wie leicht es für Deutsche ist, sich im Ausland unmöglich zu machen.“ SPD-Mann Appelt rügte dagegen den Umgang mit politischen Weggefährten, insbesondere den Rauswurf von Norbert Röttgen. Ob das als Gegenargument reicht, sei dahingestellt. Eine „Hart aber fair“-Statistik fasste Steinbrücks Problem in Zahlen. Zwar seien 47 Prozent der Deutschen mit der Bundesregierung unzufrieden; die Arbeit der Kanzlerin selbst loben 60 Prozent der Befragten. Schwacher Trost für den Herausforderer: Dass Steinbrück beim weiblichen Geschlecht nicht ankommt, scheint ein Gerücht zu sein. 47 Prozent der Frauen finden ihn sympathisch. Wenn auch nur 35 Prozent der Männer.