Essen. . Ratssitzungen live im Internet verfolgen: In Bonn ist das seit drei Jahren schon gängige Praxis. Doch die neue Transparenz ist offensichtlich kein Publikumsmagnet. Nur ein paar hundert der rund 330 000 Einwohner der Metropole am Rhein gönnen sich die Übertragung an den heimischen Computer. Essen geht 2013 online.

Bottrop will, Essen auch. Bonn macht’s schon längst, Castrop-Rauxel wartet ab und Witten ziert sich: In NRW reifen vielerorts Pläne, Sitzungen der Stadträte live im Internet zu übertragen. Jeder Bürger könnte sich dann in die Ratssäle klicken und womöglich stundenlang miterleben, wie Orts-Politiker reden und streiten.

Das Problem: Wenige wollen das Programm sehen. Tagesordnungspunkte sind eben noch keine Tagesschau.

Aber man kann’s ja mal probieren: Per „Livestream“ bietet die Ex- Bundeshauptstadt Bonn schon seit drei Jahren Direktübertragungen aus dem Rathaus. 400 bis 700 Bürger erreicht das Angebot im Schnitt. Kritiker behaupten, für eine Metropole mit 330 000 Einwohnern sei diese Quote unterirdisch. Andererseits: Jeder Pfarrer würde jubeln, wenn 400 oder mehr Schäfchen in seine Kirche kämen, und kaum ein Ratssaal fasst 500 Zuschauer

Bürgermeister im „Pop-Up-Fenster“

Bonn taugt zum Vorbild, heißt es in Bottrop. Die Stadt will jetzt ebenfalls mehr Demokratie wagen. „Wir sind die ersten im Revier, die das Thema aufgegriffen haben“, sagt Stadt-Sprecher Andreas Pläsken stolz. Ende November war Generalprobe im Rathaus mit der Live-Übertragung. Rund 400 „Aufrufe“ sollen es gewesen sein. Das Publikum sah Oberbürgermeister Bernd Tischler (SPD) erstmals im „Pop-Up-Fenster“, verfolgte die Wiederwahl des Ersten Beigeordneten Paul Ketzer, die Entlastung der Sparkassen-„Organe“ und den Wunsch der Kommunistin Irmgard Bobrzik, einen Sozialtarif für Strom und Gas einzuführen.

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Von Matthias Düngelhoff

Ob es weitergeht mit dem Bottroper „Livestream“, ob auch die erste Sitzung des kommenden Jahres und fünf weitere den Weg in die Weiten des Internets finden, soll der Rat an diesem Dienstag entscheiden. Das Kostenargument ist in Bottrop keines mehr. Denn die Live-Übertragung dort soll geradezu ein Schnäppchen sein, wie Andreas Pläsken versichert: „Übertragungen mit eigener Hard- und Software und Mitarbeitern würden über 20 000 Euro kosten. Wir haben uns aber Jena zum Vorbild genommen und einen erfahrenen Dienstleister verpflichtet, der dort Ratssitzungen überträgt. Sechs Sitzungen im Jahr kosten 5000 Euro.“ Ein fairer Preis für so viel Transparenz, heißt es.

Essen geht im neuen Jahr online

Essener Politiker fürchteten zunächst, die Stadt müsste jährlich Zehntausende Euro für den Live­stream hinlegen. Inzwischen wurde auch dort eine externe Firma beauftragt. Die Kosten, sagt OB Reinhard Paß, würden sich „im verträglichen Rahmen halten.“ Zur Probe stellen die Essener die ersten drei Ratssitzungen 2013 ins Netz. Das bettelarme Wuppertal fand die Livestream-Idee hingegen wenig charmant. Man hat dort andere Probleme.

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In Witten wollte die Linke Direktübertragungen aus dem Rathaus. Der Rat sagte dazu im September mit großer Mehrheit „Nein“. Weil die Übertragung Geld kostet und Witten kein Geld hat.

Lokalpolitiker sind keine Medien-Profis

Aber es geht in den Diskussionen nicht allein um Geld. Manch einer, der sich in der Lokalpolitik engagiert, sagt hinter vorgehaltener Hand: Ich trau’ mich nicht vor die Kamera. Denn in der Regel sind Ratsvertreter keine medienerfahrenen Leute und Meister der Rhetorik, sondern Ehrenamtler. Die Warnung vor reinen „Fensterreden“ ist außerdem zu hören, einige Ratsmitglieder sehen gar ihre Persönlichkeitsrechte in Gefahr.

In Castrop-Rauxel ist die Livestream-Diskussion jedenfalls noch „reine Zukunftsmusik“, wie Sprecherin Maresa Hilleringmann versichert. „Bei uns hat sich eine Medien-Kompetenzgruppe gegründet, die die Kosten einer Übertragung prüfen soll. Aber in naher Zukunft wird es so etwas hier nicht geben.“