Kairo. . Ägyptens Präsident Mursi hat das Verfassungsgericht entmachtet. Seine Gegner wollen erst mit ihm reden, wenn er die Dekrete zurücknimmt. Seitdem wächst die Sorge vor Gewalt. Friedensnobelpreisträger Mohamed El Baradei warnt vor einem Kreislauf der Gewalt.
In Ägypten zieht die Konfrontation zwischen Islamisten und säkulären Kräften immer weitere Kreise. Drei Tage nach den umstrittenen Dekreten von Präsident Mohamed Mursi, mit denen er die Gewaltenteilung bis zum Inkrafttreten einer neuen Verfassung faktisch aufhob, forderte der Richterclub alle Gerichte Ägyptens zum Generalstreik auf.
Die Muslimbruderschaft dagegen mobilisierte ihre Anhänger am Sonntag landesweit zu Kundgebungen, während an der Kairoer Börse die Kurse um fast zehn Prozent einbrachen. Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei erklärte, die Gewalt dehne sich immer weiter aus und „die staatliche Autorität wird immer mehr ausgehöhlt.“ Er äußerte die Befürchtung, das Militär könne intervenieren, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Er hoffe, das Land werde nicht in einem Kreislauf der Gewalt versinken. Dazu aber müsse Präsident Mursi seine am Donnerstag erlassenen Sondervollmachten zurücknehmen.
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Für kommenden Dienstag haben beide Lager ihre Anhänger im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt zusammengetrommelt. Auf dem Tahrir-Platz gingen derweil die seit Tagen anhaltenden Auseinandersetzungen weiter, bei denen bisher mehr als 500 Menschen verletzt wurden. Mitglieder säkularer und liberaler Parteien hatten die Nacht über auf dem berühmten Kreisverkehr campiert. Anhänger des Präsidenten versuchten vergeblich, ihre Zelte anzuzünden und niederzureißen.
Verfassungsgebende Versammlung annullieren?
Mursis umstrittene Dekrete zielen vor allem auf das Verfassungsgericht, was überwiegend mit alten Mubarak-Leuten besetzt ist. Schon im Juni bei der Auflösung des Parlaments kursierte das Urteil bereits Tage vorher auf Dinner-Partys der alten Mubarak-Elite. Das provozierte die Muslimbrüder, zumal das Verfassungsgericht auch in den vorangegangenen Jahrzehnten das Wahlrecht mehrfach beanstandet hatte. Niemals aber hatte das Gericht zuvor angeordnet, die Volksvertretung dann innerhalb von 24 Stunden aufzulösen und das Gebäude zu verriegeln. Ein ähnliches Vorgehen seitens der Verfassungsrichter zeichnete sich offenbar nun auch im Blick auf die Verfassungsgebende Versammlung ab, wo die Islamisten ebenfalls über eine Zweidrittel-Mehrheit verfügen. Obwohl die Verhandlung über die Rechtmäßigkeit des 100-köpfigen Plenums erst für kommenden Sonntag terminiert war, kursierte bereits vergangene Woche das Gerücht, das Urteil sei fertig, die Verfassungsgebende Versammlung werde annulliert.
Für diesen Fall hatte Staatschef Mursi sich in einem früheren Dekret das Recht reserviert, die neue Versammlung dann ganz nach eigenem Gutdünken zu bestimmen. Doch auch dieses Dekret und die darauf fußende Versammlung hätte erneut vor dem Verfassungsgericht angefochten werden können – was den Streit um das neue Grundgesetz Ägyptens wahrscheinlich bis weit in das Jahr 2013, wenn nicht bis 2014 verlängern würde.
Zwei Monate mehr Zeit
So erklärte Justizminister Ahmed Mekki, er teile zwar die Bedenken seiner Juristenkollegen gegen die Dekrete, aber er vertraue den Intentionen des Präsidenten. Mursi will nach eigenem Bekunden lediglich die Verfassungsgebende Versammlung vor einer Annullierung schützen und ihr gleichzeitig zwei Monate mehr Zeit einräumen, um noch bestehende Konfliktpunkte in dem Verfassungsentwurf zu klären. In den letzten beiden Wochen jedoch hatten sämtliche Vertreter säkularer Parteien, Gewerkschaften und Kirchen ihre Mandate niedergelegt, um gegen die in ihren Augen geplante Islamisierung der Verfassung zu protestieren.
Für das bisher tief zerstrittene liberale und säkulare Lager, das sich am Wochenende zu einer „Nationalen Front“ zusammenschloss, erklärte Mohamed ElBaradei zusammen mit den drei ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Amr Moussa, Hamdeen Sabbahi und Abdel Moneim Abolfotoh, es werde keinerlei Gespräche mit Staatschef Mursi geben, wenn dieser seine Dekrete nicht zurückziehe. Baradei und Moussa fordern zudem eine ganz neue Verfassungsgebende Versammlung, die weniger als bisher von Islamisten geprägt ist. Auch international gab es deutliche Kritik an dem Vorgehen Mursis. Eine der Ziele der Revolution sei es gewesen, „sicherzustellen, dass die Macht nicht mehr absolut konzentriert wird in einer Person oder einer Institution“, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums.