Berlin/Köln. . Der NSU-Untersuchungsausschuss förderte am Donnerstag weitere Pannen nach dem Bombenanschlag auf die Kölner Keupstraße 2004 zutage: NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) nahm einen Brückentag, verdeckte Ermittler drangen umständlich in die türkische Szene ein. Dabei gab es genug Hinweise auf Neonazis.

Als am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße ein Sprengsatz explodierte und 24 Menschen verletzte, wurden Polizei und Politik auf dem falschen Fuß erwischt: Zuerst schloss der Bundesinnenminister Otto Schily vorschnell einen terroristischen Hintergrund aus. Dann ermittelten die Fahnder fast zwei Jahre lang in die falsche Richtung. Seit klar ist, dass die Neonazi-Zelle aus Zwickau hinter dem Anschlag steckt, müssen sich Ermittler wie Politiker bohrende Fragen gefallen lassen.

So etwa Fritz Behrens (SPD), damals Innenminister in NRW, gestern im Untersuchungsausschuss des Bundestags. Auch ihm wurde nachgesagt, er habe, wie Schily, damals eine Terror-Tat ausgeschlossen. Behrens erklärte nun, dem sei nicht so. Ihm werde der Satz bloß seit acht Jahren in den Mund gelegt. Das verblüffte selbst die Fachpolitiker im NSU-Untersuchungsausschuss. Weil in jenen Tagen im Juni 2004 eine fatale Einschätzung ihren Anfang nahm.

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    Behrens suchte bis heute nicht das Gespräch mit den Betroffenen

    Die Polizei suchte die Täter im Milieu der Türken und Kurden, weniger in rechtsextremen Kreisen. Erst seit einem Jahr weiß man, dass die Bombe vom „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) gezündet wurde. „Ich war von den Socken“, beschrieb Behrens, seine Gefühlslage im November 2011. Gestern hatte er einen schweren Stand. Weder für die Polizei noch für ihn ist die Aufklärung ein Ruhmesblatt. Bis heute hat er nicht das Gespräch mit den Angehörigen der Opfer gesucht.

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    Rückblick: Behrens verließ am Nachmittag des 9. Juni 2004 – einen Tag vor Fronleichnam – sein Büro früher als sonst und trat einen Urlaub an. Auf die „Brückentage“ mochte er auch dann nicht verzichten, als gegen 17 Uhr klar wurde, dass über 20 Menschen bei einem Sprengstoffanschlag in Köln verletzt worden waren. Behrens hielt sich per Handy auf dem Laufenden und gegenüber den Medien bedeckt. Dafür trat am nächsten Tag in Berlin Otto Schily auf den Plan. Er ist derjenige, der damals einen terroristischen Hintergrund ausschloss – der Satz, der irgendwie auch an Behrens in hängenblieb.

    Die Polizei suchte gezielt – nach türkischen Tätern

    Wie bei anderen Morden, die später dem NSU zugeschrieben werden konnten, begann die Polizei in Köln, gezielt nach Motiven im Milieu der Opfer zu suchen. In der Keupstraße lebten überwiegend Zuwanderer, darunter viele türkischstämmige. Für ihre Ermittlungen ließen sich verdeckte Ermittler, zum Schein, eigens in der Keupstraße nieder, wie aus einem internen Bericht des Landeskriminalamtes NRW aus dem Jahr 2007 hervorgeht, aus dem der Kölner Stadtanzeiger jetzt zitierte.

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    Demnach richtete das LKA eine Scheinfirma ein, die Räume in einem Haus an der Keupstraße anmietete. Fast zwei Jahre lang forschten zwei verdeckte Ermittler und fünf Vertrauenspersonen die türkischen und kurdischen Anwohner gezielt aus. Tatsächlich erhielten die Beamten laut Bericht „eine Vielzahl an Erkenntnissen...über Stimmungen und Meinungen zum Tagesgeschehen“. In der Sache brachte die Spitzelei allerdings nichts. Die Erkenntnisse waren laut LKA-Bericht „zwar vielfältig, aber allesamt unkonkret“.

    Verfassungsschutz warnte vor Bombenbastlern

    Dass die Behörden damals mit viel Aufwand falsche Spuren verfolgten, ist umso bitterer, als es in Köln „so viele Hinweise auf die Täter wie bei keiner anderen Tat des NSU“ gab, so CDU-Mann Clemens Binninger. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren von einer Überwachungskamera aufgenommen worden. Und ihre Nagelbombe war baugleich mit Sprengsätzen anderer Neonazis. Zudem wurde in einem Dossier des Verfassungsschutzes damals vor den Bombenbastlern aus Jena gewarnt.

    Es war wie ein Puzzle. Es lagen genug Teile vor, aber keiner fügte sie zusammen. Die Ermittler hatten ein anderes Bild im Kopf.