Düsseldorf. Für SPD-Fraktionschef Norbert Römer ist die Festlegung auf Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat eine gute Entscheidung. Im Interview sagt er, warum Steinbrück Merkel schlagen kann und wie er den Kanal-TÜV so gestalten will, dass alle damit leben können. An den Bund stellt er hohe Ansprüche.

Norbert Römer ist in der Nähe einer Kokerei in Herne aufgewachsen und hat den Strukturwandel im Ruhrgebiet hautnah miterlebt. NRW muss auch in Zukunft Industriestandort bleiben, sagt der Fraktionsvorsitzende der SPD im Düsseldorfer Landtag, er sagt aber auch, dass die Politik stärker für neue Industrieprojekte werben muss. Und: Römer verteidigt den Kanzlerkandidaten seiner Partei gegen den Vorwurf, bei der Finanzmarktregulierung ein Wendehals zu sein.

Die K-Frage ist geklärt: Peer Steinbrück ist Kanzlerkandidat der SPD. Richtige Entscheidung?

Norbert Römer: Ja. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit ihm dann auch in Berlin die Nase vorne haben. Er wird unsere Landesliste für die Bundestagswahl anführen. In seinem Wahlkreis ist er gerade mit einem überragenden Ergebnis wieder nominiert worden. Vor allem seine finanz- und wirtschaftspolitische Kompetenz kommt bei den Bürgern gut an. Die Partei und Peer Steinbrück sind immer näher zusammengerückt. Er war der Stabilisierungsfaktor in der Großen Koalition. Es ist eine gute Entscheidung.

Sind Sie sicher? Bietet Steinbrück nicht eine Angriffsfläche, weil er sich zu Zeiten von Rot-Grün für eine Deregulierung der Finanzmärkte eingesetzt hat und nun das Gegenteil fordert?

Römer: Das waren damals andere gesellschaftliche Verhältnisse, ein anderer Zeitgeist. Und wir haben kein Problem damit zu sagen, wir haben aus Fehlern gelernt. Bei der Bundesregierung ist das ganz anders. Wenn ich mir ansehe, was in Berlin passiert: Die Regierung ist seit Monaten in der Auflösung begriffen. Schwarz-Gelb klammert sich nur deshalb aneinander fest, weil sie die Angst um den Verlust von Posten und Dienstwagen vereint. Ansonsten ist da politisch kaum noch etwas, was man gemeinsam der Koalition zuschreiben könnte.

Es gibt SPD-Politiker, die spalten die Partei, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, auch Peer Steinbrück…

Römer: Wir sind eine diskussionsfreudige Partei, das wollen wir uns auch nicht nehmen lassen. Aber für alle ist klar, wir wollen Schwarz-Gelb in Berlin ablösen.

„Ich verschwende keinen Gedanken an eine Große Koalition“

Können Sie sich eine Große Koalition vorstellen?

Römer: Das ist keine Vorstellung, die bei mir auf Freude stößt. Ich will da auch keinen Gedanken dran verschwenden. Die Menschen haben die Nase voll von dem, was in Berlin passiert. Wir haben eine große Chance, diese Regierung abzulösen, nicht nur einen Teil davon. Diese Chance wollen wir nutzen.

Aber man muss den Eindruck gewinnen, dass sich CDU und SPD annähern, angesichts der Rentendebatte und der Diskussion um die Frauenquote.

Römer: Nein, das ist keine Annäherung. Von der Leyens Zahlen muss man sich mal genau ansehen. Außerdem blendet sie völlig aus, dass der Altersarmut die Erwerbsarmut vorausgeht. D.h. wir kommen ohne einen gesetzlichen Mindestlohn keinen Schritt weiter. Wir lehnen aber nicht alles ab, nur weil es von der CDU kommt: Wir haben in NRW zur Zeit der Minderheitsregierung auch solche Diskussionen gehabt. Wenn ich beispielsweise an die Schulpolitik denke, da war die CDU mit im Boot.

Die Umfragen sprechen aber noch nicht dafür, dass es eine rot-grüne Regierung geben wird.

Römer: Wann sind eigentlich Bundestagswahlen?

Im September 2013.
Römer: Na, dann haben wir ja noch ein bisschen Zeit.

Womit wollen Sie im Bund besonders punkten? Denn was die Lösung der Finanzkrise angeht, spricht die Bevölkerung der Kanzlerin die Kompetenzen zu.

Römer: Da bin ich mir nicht so sicher. Der CDU-Landesvorsitzende von NRW, Armin Laschet, weist darauf hin, dass die CDU bei der Wirtschaftskompetenz dramatisch verloren habe. Da kann ich nur sagen: Recht hat er. Die Sozialdemokraten in NRW haben hingegen enorm hinzu gewonnen. Aus einem ganz einfachen Grund: Wir konzentrieren uns auf die Frage, wie es gelingen kann, Industrie und Wirtschaft in NRW nach vorne zu bringen und wir sehen dabei die soziale Gerechtigkeit nicht als lästiges Beiwerk sondern als Grundlage der Entwicklung. Wenn das mit Steinbrücks zweifellos großer wirtschaftspolitischer Kompetenz zusammenwirkt, wird Frau Merkel alt aussehen.

„Der Bund muss sehr viel mehr tun für NRW“ 

Ihr Parteitag in Münster war mit „Allianz für die Infrastruktur“ überschrieben. Ganz schön sperrig. Wen wollen Sie denn mit so etwas begeistern?

Römer: Das war nicht das Motto des Parteitages, sondern der Titel eines Antrages, den wir dort beraten haben. Ich rede im Land mit vielen mittelständischen Unternehmern. Die sagen mir alle: Wir brauchen eine vernünftige Infrastruktur. Es ist ein sperriges Thema. Aber man muss sehen, was es für die Region und den Bürger bedeutet. Der Bund muss sehr viel mehr tun für NRW. Ich denke da an Projekte wie die Betuwe-Linie, den Eisernen Rhein, die Frage, wie wir eine bessere Anbindung zu den Häfen in den Niederlanden und in Belgien bekommen. NRW braucht eine stabile Infrastruktur und damit viele Investitionen. Das bekommen wir nicht allein aus Landesmitteln gestemmt.

Die Betuwe-Linie ist ein Musterbeispiel dafür, wie Politik nicht funktioniert. Da wird 1992 ein Vertrag mit Niederländern gemacht, vor 20 Jahren! Die Niederländer sind schon lange fertig…

Römer: Wir sind da - zugegeben - ein bisschen schwerfällig. Wir müssen schneller werden. Aber auch der Bund muss seiner Verantwortung nachkommen. Es dürfen nicht nur die meisten Bundesmittel in den Süden hineingehen. Das hilft Bayern und Baden-Württemberg und vielleicht einem Verkehrsminister, der aus Bayern kommt, aber dem Deutschland insgesamt hilft es nicht. NRW ist ein Transitland, von Nord nach Süd und von Ost nach West und umgekehrt. In NRW gibt es Infrastrukturprojekte, die wichtig sind für ganz Deutschland.

Wie können solche Projekte in Zukunft schneller umgesetzt werden?

Römer: Man muss die Menschen früher mit einbinden. Sie werden nicht alle überzeugen können. Aber meine Erfahrung sagt mir: Man muss früh mit den Menschen reden und auf den Tisch legen, worum es geht. Nur so wird man wissen, wo die Hindernisse sind, die man noch überwinden muss. Dann bekommt man auch größere Geschwindigkeit in solche Prozesse hinein.

„Wir reden nicht über die Menschen, wir reden mit ihnen“

NRW ist ein wichtiger Industriestandort. Wie groß ist Ihre Kraft, notfalls gegen den Willen von Bürgern zu handeln?

Römer: An erster Stelle steht, wir reden nicht über die Menschen sondern mit ihnen. Wir machen Betroffene zu Beteiligten. Dabei muss man für Akzeptanz für bestimmte Projekte werben. Zweitens: Der politische Wille muss klar sein. Drittens: In solchen Prozessen, die oft von rechtlichen Auseinandersetzungen begleitet werden, muss man planungsrechtlich einwandfrei arbeiten. Das ist die Erfahrung mit dem Kraftwerk in Datteln.

Streitobjekt: Das Kraftwerk Datteln.
Streitobjekt: Das Kraftwerk Datteln. © WAZ FotoPool

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat Datteln in ihrer Regierungserklärung mit keinem Wort mehr erwähnt…

Römer: Braucht sie auch nicht. Datteln, egal wie es ausgehen wird, ist nicht der Beweis, dass der Industriestandort NRW stirbt oder weiterlebt. Es passiert eine ganze Menge in NRW. Das gerät in der Diskussion über Datteln oft aus dem Blick: Wir haben jetzt erst zwei moderne Braunkohle-Kraftwerkblöcke in Betrieb genommen. Eine Reihe weiterer Kohlekraftwerke und Gaskraftwerke sind im Bau oder in Planung. Also, es gibt nicht nur Datteln.

Wie kann die Energiewende voran getrieben werden?

Römer: Der Ausstieg aus der Atomenergie und die notwendige Energiewende stellen eine Herausforderung dar, die uns noch Jahrzehnte beschäftigen wird. Eine saubere, sichere und bezahlbare Energieversorgung erfordert aufeinander abgestimmte Maßnahmen: Die notwendige Verbesserung der Energieeffizienz, den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und ihre Integration, Investitionen in neue, fossile Kraftwerke mit höheren Wirkungsgraden und die Sicherung wettbewerbsfähiger Rahmenbedingungen für die energieintensive Industrie. Die Struktur der zukünftigen Energieversorgung wird viel dezentraler sein als heute. Das stellt veränderte Anforderungen an die Energieinfrastruktur.

„Eine Netzgesellschaft Ruhr kann ich mehr sehr gut vorstellen“

Welche?

Römer: Die Übertragungsnetze müssen ausgebaut werden, aber auch die Verteilnetze. Sie sind der Schlüssel für die Integration Erneuerbarer Energien und für ein dezentraleres Energiesystem, bei dem Erzeugung und Verbrauch möglichst nah beieinander liegen. Unsere Stadtwerke arbeiten schon jetzt bei verschiedenen Projekten gut zusammen, etwa bei Trianel oder bei Steag. Deshalb denke ich an eine weitere, enge Kooperation auch beim Aus-und Umbau der Verteilnetze. Meine Idee ist, dass Stadtwerke ihre Stromnetze in eine gemeinsame Gesellschaft einbringen. Damit könnten die notwendigen Netzinvestitionen beschleunigt und so effizient gestaltet werden, dass unnötige Mehrkosten für die Stromverbraucher vermieden werden. Außerdem kann so notwendiges Kapital mobilisiert werden: Sparkassen, Versicherungen, Pensionskassen oder Versorgungswerke haben großes Interesse an Anlagen in Infrastrukturinvestitionen, die zukunftssicher sind und eine nachhaltige Rendite bringen. Eine „Netzgesellschaft Ruhr“ kann ich mir gut vorstellen.

Norbert Römer will "bürgerfreundliche Regelung" beim Kanal-TÜV 

Wie wichtig ist die Fernwärme in NRW?

Römer: Sehr wichtig. Die Landesregierung ist gerade dabei, die Fernwärmeschiene vom Niederrhein zum Ruhrgebiet zu komplettieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass es mehr Einspeisemöglichkeit gibt. Dazu gibt es demnächst eine Machbarkeitsstudie. 250 Millionen Euro nehmen wir allein in die Hand, um den Kraft-Wärme-Kopplung-Anteil nach vorne zu bringen und die Fernwärme auszubauen. Das ist ein Konjunkturprogramm für Handwerk und Gewerbe im Ruhrgebiet. Auch hier macht es aus meiner Sicht Sinn, für den weiteren Ausbau eine Fernwärmeschienen-Gesellschaft zu bilden, in der Stadtwerke und Fernwärmeproduzenten ihre Aktivitäten bündeln.

Explodierende Energiekosten machen den Bürgern die Energiewende derzeit madig. Ihr grüner Koalitionspartner begründet das damit, dass die Bundesregierung stromintensive Unternehmen von der Öko-Umlage befreit. Sollte diese Regelung gekappt werden?

Römer: Weil wir wollen, dass die Zukunftsinvestitionen der Stahl-, Aluminium- oder der Chemieindustrie in Nordrhein-Westfalen stattfinden, müssen wir auch auf faire Wettbewerbsbedingungen für stromintensive Unternehmen gegenüber anderen EU-Ländern achten. Ich bin bereit, nachzuschauen, ob das eine oder andere Unternehmen, das nicht im internationalen Wettbewerb steht, diese Ausnahmegenehmigung wirklich braucht. Aber grundsätzlich gilt, dass energieintensive Unternehmen nicht gegen Verbraucher ausgespielt werden dürfen. Da sind wir uns in Nordrhein-Westfalen auch mit dem Koalitionspartner einig.

„Wir möchten eine bürgerfreundliche Regelung beim Kanal-TÜV“

Ein Thema, was viele Bürger umtreibt, ist die geplante Dichtigkeitsprüfung. Sie sagen, zum Beispiel, dass eine regelmäßige Überprüfung das Grundwasser schützt. Auf der anderen Seite gibt es Bauern, die ihre Äcker mit Gülle düngen. Wie passt das zusammen?

Römer: Es darf keine Gefährdung des Grundwassers und damit der Gesundheit der Bevölkerung geben. Das gilt für beides. Was wir möchten, ist eine bürgerfreundliche Regelung bei dem, was in der Öffentlichkeit als „Kanal-TÜV“ diskutiert wird. Wir sind noch nicht am Ende der Überlegung. Ich schaue mir auch noch an, was in anderen Bundesländern passiert. Aber wir werden in Kürze unsere Vorschläge auf den Tisch legen.

Gefällt Ihnen die parlamentarische Arbeit jetzt besser als zur Zeit der Minderheitsregierung?

Römer: Wir brauchen uns nicht verstecken. Wir haben unterschiedliche Mehrheiten bei unseren Gesetzen gehabt, mal mit der CDU, mal mit FDP oder den Linken. Es war sehr arbeitsintensiv, manchmal schweißtreibend. Nach der Wahl im Mai haben wir klare Verhältnisse, die SPD hat jetzt 99 Abgeordnete. Es ist eine gute Erfahrung, in einen Fraktionssaal hinein zu kommen, der jetzt fast aus den Nähten platzt.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Piraten?

Römer: Ich rede mit denen. Bin sehr gespannt, wie sie der Öffentlichkeit beweisen wollen, dass sie wirklich bereichernd sind für dieses Parlament. Ich habe da bisher noch nichts von ihnen gehört. Ich bin skeptisch, ob die Piraten inhaltlich viel beitragen werden.