Athen. Griechenlands Regierung hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die in den Archiven nach Belegen für die Untaten im Zweiten Weltkrieg forscht - um danach eventuell Forderungen abzuleiten. Beobachter messen der Aktion höchstens symbolischen Charakter bei.
Ein Sparpaket jagt das nächste, die Wirtschaftsleistung schrumpft das fünfte Jahr in Folge, die Deutschen mahnen, Griechenland dürfe sich nicht als Fass ohne Boden erweisen. Vor diesem Hintergrund erfolgte in diesen Septembertagen die Ankündigung des Athener Finanzministeriums, Griechenland prüfe Reparationsforderungen an Deutschland. Eine Arbeitsgruppe soll die Archive nach Belegen für die Untaten der Nazis im besetzten Griechenland durchforsten. Vielleicht lassen sich daraus knallharte Forderungen ableiten.
Der Ruf nach deutschen Reparationszahlungen erklingt in Griechenland seit dem Zweiten Weltkrieg in periodischen Abständen. Seine Lautstärke nimmt an den politischen Rändern und in Krisenzeiten zu. Doch nun steht ein Datum im Raum: Das Finanzministerium in Athen kündigte an, die Höhe der Forderungen solle bis spätestens Ende 2012 durchgerechnet werden.
Forderung als Bitte um Nachsicht
Dabei ist mit ganz unterschiedlichen Teil-Dossiers zu rechnen. Rund 300.000 Griechen bezahlten die Besatzung Hitler-Deutschlands von Anfang 1941 bis September 1944 mit dem Leben. Während der Besatzung verübten die Nazis zahlreiche Massaker, etwa das von Distomo mit 218 Toten. Und 1942 nahm die Besatzungsmacht bei der griechischen Zentralbank einen Zwangskredit auf, der damals auf knapp 500 Millionen Reichsmark beziffert wurde und bei einer Umrechnung in heutiges Geld einige Milliarden Euro Wert hätte.
Ob die griechische Regierung, die alle paar Monate Milliarden-Kredite der europäischen Partner entgegennimmt, am Ende tatsächlich "Reparationszahlungen" anmahnt, bleibt fraglich. Zum einen geht es darum, "auf den Druck der Opposition zu antworten", wie der Zeitgeschichtler Hagen Fleischer von der Universität Athen erläutert. "Zugleich soll an die Deutschen die Botschaft gesandt werden, dass sie mit einem Land nachsichtig umzugehen haben, das von den westlichen Staaten unter der Nazi-Besatzung die größten Verluste erlitt".
Völkerrechtlich komplexe Lage
Völkerrechtlich ist die Angelegenheit recht komplex. Während der deutschen Teilung verwies die Bundesregierung in Bonn darauf, dass die internationalen Abkommen in diesen Fällen keine Reparationszahlungen vorsähen - und dass erst die Wiedervereinigung und eine endgültige Friedensregelung abzuwarten sei. Zudem waren von den Siegermächten bereits deutsche Auslandsguthaben beschlagnahmt worden, die zum Teil für Reparationen genutzt wurden.
Der geeignete Moment für Reparationsforderungen war nach dieser Logik wohl mit der Wiedervereinigung gekommen. "Griechenland hätte bei der Vereinigung Deutschlands Anfang der 1990er Jahre größere Chancen gehabt" als heute, sagt der Historiker Fleischer. "Aber damals stand die Angst der griechischen Regierung im Vordergrund, die bilateralen Beziehungen könnten in Mitleidenschaft gezogen werden." Und der "Zwei-plus-vier-Vertrag" sah keine weiteren Reparationen vor.
Berlin sieht die Frage geklärt
Für Berlin ist die Sache klar. "Aus Sicht der Bundesregierung ist die Reparationsfrage umfassend und abschließend geklärt", erklärt ein Sprecher des Finanzministeriums. Die Bundesregierung sieht sich in dieser Rechtsauffassung unter anderem durch ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (IGH) vom Februar bestärkt. Damals wurden individuelle Entschädigungsforderungen italienischer NS-Opfer abgeschmettert, weil die "Staatenimmunität" verhindere, dass Gerichte eines Landes ein anderes Land verurteilen könnten.
Weil die griechischen Juristen in dem von Italien vor den IGH getragenen Streit eine Chance sahen, eigene Reparationszahlungen geltend zu machen, hatten sie sich der italienischen Klage angeschlossen. Die griechischen Interessen wurden von dem Völkerrechtler Stelios Perrakis von der Panteion-Universität vertreten. Der Internationale Gerichtshof habe sich zwar zur "Staatenimmunität" geäußert, aber nicht "zum eigentlichen Inhalt", sagt Perrakis heute. Ob schwere Menschenrechtsverletzungen noch nach Jahrzehnten verfolgt würden, bleibe "eine politische Entscheidung". (afp)