Karlsruhe. . Karlsruher Richter lassen ihre Sichtweise für ein ESM-Urteil erahnen und wissen um die Außenwirkung. Finanzminister Wolfgang Schäuble fürchtet Vertrauensverlust für den Euro.

Es ist ein Prozess der großen Zahlen. 23.000 Bürger, Politiker und Professoren klagen. Sie wollen verhindern, dass Deutschland im ärgsten Fall für Rettungsschirm-Kredite in Höhe von 190 Milliarden Euro an notleidende Staaten und Banken haften wird, ohne dass die 620 Abgeordneten im Bundestag gefragt werden.

Es geht aber auch und vor allem um die politische Richtung und um die Macht in Europa: Behält das deutsche Parlament sein „Königsrecht“, über Staatsetat und Schuldenaufnahme zu bestimmen? Wo werden die Leitlinien unserer Politik in Zukunft festgelegt: Noch in Berlin? Oder nur noch in Brüssel? Auch: Brauchen wir ein neues Grundgesetz?

Dramatische Worte

Das Bundesverfassungsgericht hat die Themen am Dienstag erstmals behandelt. Die drei Richterinnen und fünf Richter wollen in den nächsten Wochen zunächst über Eilanträge auf eine einstweilige Anordnung entscheiden. Mit ihr würde dem Bundespräsidenten untersagt, das Gesetz über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zu unterschreiben – womit die Mitwirkung des größten Einzahlers in den Mechanismus gestoppt ist, bevor dieser unwiederbringlich in Kraft tritt.

Das höchste deutsche Gericht diskutierte das öffentlich, im engen Kino einer ehemaligen Kaserne am Karlsruher Stadtrand und vor nur 114 Zuschauern, weil der Hauptsitz des Gerichts gerade renoviert wird. Öffentlichkeit ist in diesem Stadium ungewöhnlich.

Mit dramatischen Worten haben die Kläger versucht, zu überzeugen. Am radikalsten formuliert es der Wirtschaftsprofessor Karl Albrecht Schachtschneider. „Schicksaltage“ sieht er. Die Währungsunion sei nur „der Hebel“. Die Politik plane längst den „Umsturz“, den „neuen Staat“ Europa, also das Ende der deutschen Souveränität.

Schäuble als Verteidiger

Ein „Monster“ sei mit dem ESM zu bändigen, hat auch Mit-Kläger Peter Gauweiler formuliert, der CSU-Politiker aus München. Ihm geht es aber darum, dass „diese Struktur mit dem Grundgesetz unvereinbar ist“. Verfassungswidrig werde das Etatrecht des Bundestages beschnitten. Allenfalls das Volk könne so weit gehende Veränderungen festlegen – per Volksabstimmung.

Euro-RettungGregor Gysi greift die Idee von der Volksabstimmung auf. Gysi vertritt die Linke in diesem Prozess. Ihn stört eine drohende Machtlosigkeit des Bundestages. Aber er hat nichts gegen ein neues Grundgesetz mit mehr EU- Kompetenz. 80 Prozent des alten könnten ja übernommen werden, sagt er. Nur: „Neue soziale Strukturen“ müssten hinzukommen.

Wolfgang Schäuble hat die Rolle des Verteidigers des Gesetzes übernommen. Der CDU-Finanzminister sieht im Stabilitätsmechanismus ein „effektives“, „dauerhaftes“ und „verlässliches“ Instrument, den Euro zu retten. Würde das Gericht mit der einstweiligen Anordnung die deutsche Zustimmung aufschieben, sieht er „einen weiteren Vertrauensverlust“ für die Währung und am Ende eine tief greifende Wirtschaftskrise.

Berlin hat Anlass Karlsruhe zu fürchten

Verteidigende Worte indes haben die acht in den roten Roben bei der Karlsruher Verhandlung eher selten gehört. Es sind die Kläger, die mit den kritischen Einwendungen dominieren. Abgeordnete sprechen davon, dass ihr Mitwirkungsrecht „das Blatt Papier nicht wert ist, auf dem es steht“.

Berlin hat also Anlass, das Eingreifen aus Karlsruhe zu fürchten. Das Verhältnis zwischen dem Gericht mit seinem Vorsitzenden Andreas Voßkuhle und der schwarz-gelben Parlamentsmehrheit sowie der Bundesregierung ist belastet. Voßkuhle bleibt dennoch nüchtern. Er weiß um die Wirkung einer einstweiligen Anordnung und die panischen Schlagzeilen und Reaktionen vor allem im Ausland, sagt er. Er will das berücksichtigen.

Er und seine Kollegen stellen aber gezielte Fragen: Wird das deutsche Parlament genug beteiligt? Sind die 190 Milliarden Euro Risiko das Ende der Fahnenstange – oder droht, unkalkulierbar, weit mehr? „Die schwäbische Hausfrau in uns weiß, dass ein Risiko nicht einfach verschwindet. Wo ist also dieses Risiko?“, fragt die Richterin Wolf. Die Fragen in solchen Verfassungsgerichts-Verhandlungen haben oft erste Hinweise auf das Urteil gegeben.

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Von Petra Kappe