Berlin. . Fast unbemerkt erlaubte der Bundestag den Städten, Daten ihrer Bürger zu verkaufen. Stoppen die Länder das neue Meldegesetz? Eine gute Woche nach einem stillschweigenden Beschluss des Bundestages laufen Datenschützer und Opposition Sturm gegen das neue Meldegesetz.

Es dauerte ein paar Tage. Aber nun formiert sich der Widerstand gegen das neue Meldegesetz. Es erlaubt den Einwohnermeldeämtern, ab 2014 ihre Daten an Firmen zu verkaufen. Für die Städte wäre es eine Einnahmequelle mehr, für die Adresshändler ein neues Geschäft. Sie sollten sich allerdings nicht zu früh freuen. SPD und Grüne wollen den Plan in Bundesrat vereiteln.

Auf der Facebook-Seite von Sigmar Gabriel kann man schon mal nach ­Perlen tauchen. Am Donnerstag etwa notiert der SPD-Chef, „ich will nicht, dass meine Heimatstadt meine Adresse an Werbefirmen oder professionelle Datensammler verkaufen kann“. Er halte das für gefährlichen Unsinn „und wundere mich ein bisschen, dass der ­öffentliche Aufschrei der Empörung bislang ausgeblieben ist“, so Gabriel.

Datenschutzbeauftrager schlug Alarm

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hatte zuvor schon Alarm geschlagen. Übers Wochenende folgen zwei Länderkollegen seinem Beispiel und kritisieren den „Wahnsinn“. Im Netz baut sich ein Shitstorm auf. Gabriels Generalsekretärin Andrea Nahles half mit. In „abgeordnetenwatch.de“ ­kritisierte sie, die Regierungskoalition von Union und FDP sei „wieder einmal vor der Adresslobby eingeknickt“. Mit dem Gesetz werde der Datenschutz „für Wirtschaftsinteressen geopfert“.

Rückblick: Bundestag, 28. Juni, 20.51 Uhr, Vize-Präsidentin Petra Pau von der Linkspartei führt die Sitzung und ruft den 21. Tagesordnungspunkt auf. Im Plenarsaal: Gähnende Leere. Vier Abgeordnete der Linken, je drei von SPD und Grünen, in den Reihen der Union sind etwa 20 Plätze besetzt. Im Fernsehen läuft das EM-Halbfinale Deutschland gegen Italien, vor sechs Minuten war Anpfiff. Die Volksver­treter wollen keine Reden schwingen. Die Abgeordneten Brandt, Vogelsang, Fograscher, Höferlin, Korte und ­Wieland geben ihre Manuskripte zu Protokoll. Zweimal lässt Petra Pau ­abstimmen. Ein paar Minuten nur.

Im toten Winkel der Öffentlichkeit

Immer wieder fallen Entscheidungen im toten Winkel der Öffentlichkeit. Über Diäterhöhungen hat man im alten Bonn oft zur späten Stunde beraten. Am 28. Juni sitzen sich nur Profis gegenüber, die genau wissen, was gespielt wird. Sie stritten monatelang etwa darüber, wo und wie Soldaten sich anmelden oder welche Daten die Kirchen abrufen sollen. Die Melderegister lagen früher in der Zuständigkeit der Länder. Seit der Föderalismusreform 2006 ist das anders. Eine Regelung war fällig.

Der Paragraf 44 ist von Anfang an umstritten. Die Weitergabe von Daten – Namen, Adresse, Geburtstag, Einzugs- und Auszugstermin – war schon im ersten Entwurf vom November 2011 vorgesehen, damals freilich unter der Bedingung, dass der betroffene Bürger zustimmt. Vor der entscheidenden Abstimmung am 28. Juni setzen Union und FDP aber eine Änderung durch.

Kleiner Satz – große Wirkung

Ein kleiner Satz nur: „Die betroffene Person hat das Recht, der Übermittlung ihrer Daten zu widersprechen.“ Klingt harmlos, ist aber eine Totalkorrektur. Der Regelfall sollte sein, dass die Daten nicht verkauft werden, es sei denn, der Bürger stimmt zu. Nun aber sollten die Städte die Daten weiter geben dürfen, es sei denn, jemand legt Widerspruch ein. Die Ausnahme sollte damit zum Regelfall werden – und umgekehrt.

Die Koalition musste wissen, dass sie die Datenschützer auf den Plan rufen würde. Sie hatte also Gründe für den „hektischen Abschluss in halbgarem Zustand“, wie der Grüne Wolfgang Wieland die Korrektur in letzter Minute im Windschatten der EM nennt.

Bundesrat kann Gesetz kippen

Da das Gesetz den Städten Kosten verursachen wird, dürften sie für die zusätzliche Einnahme auf der anderen Seite dankbar sein. Trotzdem hoffen die Verbraucherschützer, dass die Länder den Plan im Bundesrat vereiteln werden. Wie sie sich entscheiden werden, ist offen.

SPD-Chef Gabriel bleibt dabei: „Das staatliche Melderegister“ sei kein Vorratsdatenspeicher für die Wirtschaft. Am Wochenende folgte ihm Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Beide Parteien kündigten an, das Gesetz im Bundesrat abzulehnen. Im Herbst wird man sehen, ob sie über die Stimmen von Ministerpräsidenten wie Hannelore Kraft oder Winfried Kretschmann auch verfügen können.