Düsseldorf. . Vor zwei Jahren musste Hannelore Kraft noch darauf setzen, dass sich die Abgeordneten der Linkspartei der Stimme enthielten. Jetzt konnte sie der Abstimmung im Düsseldorfer Landtag entspannt entgegen sehen. Nach einem ersten Treffen mit den Parlamentsfrischlingen war klar: Zustimmung konnte sie auch von den „Piraten“ erwarten.
Die Wahl ist gelaufen, die Abgeordneten haben den Plenarsaal geräumt. Als Letzte verlässt Hannelore Kraft nach der Gratulationscour das Rund des Landtags, schminkt sich noch kurz und läuft in einen Wald von Kameras. Ein Journalist schießt seine Frage ab: „Was werden Sie als neu gewählte Ministerpräsidentin als erstes anpacken?“ Kraft zögert keine Sekunde. „Meinen Mann“, sagt sie – und umarmt Ehemann Udo und Sohn Jan, die an der Tür warten.
So gelöst ist die Stimmung schon früh an diesem Mittwoch, da die 51-Jährige den vorläufigen Gipfel ihrer politischen Macht erklimmt. Die Mehrheit steht.
Einige Abgeordnete von Rot-Grün schwänzen sogar den Zählappell in ihren Fraktionen. Anders als 2010, als sich die Minderheitskoalition durch zwei Wahlgänge zittern und auf Enthaltung der Linkspartei setzen musste, geht es darum, wie viele Stimmen Kraft aus der Opposition holt.
Lindner sieht „die Machtreserve“
Mit seinem Tipp liegt der Grünen-Landeschef Sven Lehmann nur geringfügig daneben: 136 Stimmen erwartet er für Kraft. Tatsächlich votieren 137 Abgeordnete für sie, und es ist ein offenes Geheimnis, dass die neun zusätzlichen Stimmen vor allem von den Piraten kommen. Die SPD-Regierungschefin hat sich in der 20-köpfigen Fraktion der Landtags-Neulinge vorgestellt und soll, wie man hört, dabei so manchen überzeugt haben.
Beim Empfang setzt der Wettbewerb um die strategische Deutungshoheit ein. FDP-Fraktionschef Christian Lindner ist am schnellsten. „Das ist die Machtreserve von Rot-Grün“, sagt er mit Blick auf die Piraten. Dass er nicht ganz falsch liegt, bestätigt Piraten-Vormann Joachim Paul. Der Zuspruch aus seiner Fraktion für Kraft sei ein „Signal für unsere politische Ausrichtung“, sagt er. Und: „Wir werden an dem einen oder anderen Punkt mit der Regierung stimmen.“
Die drei Vorgänger fehlen
Unter den rund 350 Gästen auf der Tribüne beobachtet auch Ex-Vizekanzler Franz Müntefering die geheime Abstimmung. Was lockt ihn aus Berlin hierher außer Sympathie für Hannelore Kraft?, fragt jemand. „Das reicht doch“, sagt der frühere SPD-Landeschef. Christina Rau, die engen Kontakt zu Kraft hält, musste kurzfristig absagen, weil ihre Mutter erkrankt ist.
Auch die Ex-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, Peer Steinbrück und Wolfgang Clement sind nicht da. „Clement hätte ja aus dem Lindner-Kontingent kommen müsse“, lästert ein Genosse über den Ex-Parteifreund, der Wahlkampf für den liberalen Jungstar gemacht hat.
Kleine Tipps für schwierige Situationen
Als um 11.40 Uhr Landtagspräsidentin Carina Gödecke das Ergebnis verkündet, stehen neben den Fraktionen von SPD und Grünen auch einige Piraten zum Applaus auf. SPD-Fraktionschef Norbert Römer gratuliert Kraft als erster mit weißen und roten Rosen. Sylvia Löhrmann, grüne Vize-Regierungschefin, schenkt ihr ein Buch. „Eine Handlungsanleitung für schwierige Situationen“, verrät sie der WAZ-Mediengruppe. Dann spricht Kraft die Eidesformel.
Ehe sie sich — noch allein, ohne die Minister – auf ihren Regierungsplatz setzt, verspricht sie in einer kurzen Rede an den Landtag, den Dialog über Fraktionsgrenzen hinaus zu suchen. „Demütig und mit viel Kraft“ wolle sie die nächsten fünf Jahre angehen.
Der Rest dieses Tages ist verplant – für eine Feier im engsten Kreise der Familie.