Berlin. . Angela Merkel kann wieder aufatmen. Norbert Röttgen verkündete einen Tag, bevor er seine Entlassungsurkunde als Umweltminister bekommt, dass er nicht zurückkeilen werde. Sein Abstieg hatte sich ohnehin schon seit längerem angekündigt.
Norbert Röttgen war gewarnt. Der geschasste Umweltminister solle nicht nachkarten: „Zuerst kommt das Land und die Menschen, dann erst die Partei und ganz zum Schluss komme ich“. Er soll sich kleinmachen, sich selbst nicht so wichtig nehmen – so muss man den Rat von Unions-Fraktionschef Volker Kauder verstehen. Gestern kam dann auch die Entwarnung: Über eine Sprecherin ließ Röttgen mitteilen, er werde nicht zurückkeilen – weder intern, noch in der Öffentlichkeit.
Die Enttäuschung in Teilen der CDU über Röttgens Rauswurf wird heute trotzdem wieder hochkommen. Am Morgen erhält Röttgen die Entlassungsurkunde vom Bundespräsidenten, später tagt die Unions-Fraktion. Dann könnte Kanzlerin Angela Merkel sich vor ihren Abgeordneten erklären.
Merkel will zur Tagesordnung zurückkehren
Vorerst setzt sie auf Routine. In rascher Folge will Merkel morgen mit allen Ministerpräsidenten über die Energiewende und einen Tag später mit der Opposition über das Euro-Krisenmanagement reden. Im Juni soll das Kabinett das Betreuungsgeld auf den Weg bringen.
Die Karawane zieht weiter
Merkels Kalkül liegt auf der Hand: In sechs, sieben Wochen soll keiner mehr über Röttgen reden. Die Karawane zieht einfach weiter. Die „FAZ“ fühlt sich an den Bruch Helmut Kohls mit CDU-Generalsekretär Heiner Geißler erinnert. Die Brutalität ist ähnlich. Kohl hatte Geißler (zu Recht) im Verdacht, dass er ihn stürzen wollte. Das kann man Röttgen aber nicht unterstellen.
Die Fakten: Außerhalb von seinem NRW-Landesverband erfährt Röttgen wenig Solidarität. Mit Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble schlugen sich zwei Leistungsträger im Kabinett auf Merkels Seite. CSU-Chef Horst Seehofer hat Verständnis für die Entlassung. Die FDP richtet den Blick aufreizend nach vorn und redet über Peter Altmaier, Röttgens Nachfolger.
Röttgen dachte wohl in Optionen
Jede Motivforschung beginnt am 18. März, es ist der Tag der Gauck-Wahl. Am Rande nehmen die Kanzlerin und Seehofer den Minister ins Gebet. Zur Spitzenkandidatur hatten sie ihn nicht gedrängt. Nun machen sie ihm aber klar, dass es eine Schicksalswahl und sein Platz in NRW sei. Es ist eine Warnung – er hört den Schuss nicht.
Offenkundig denkt er in Kategorien von Optionen. Wenn es in NRW nicht klappt, bliebe ihm die Option Bund. Ist es schon damals ein Trugschluss? In der Folgezeit wird seine Position nicht besser, sein Scheitern kündigt sich an:
27. April: Im WAZ-Interview macht Merkel klar, dass sie „eine besondere Verantwortung für das Ganze“ habe und deshalb zur Energiewende die Ministerpräsidenten einladen werde. Sie nimmt es in die Hand. Ein Signal.
2. Mai, Kanzleramt: Merkel redet mit den Energiebossen. „Da hat sich gezeigt, wie schwer sich Norbert Röttgen tut, als Gesprächspartner der Wirtschaft akzeptiert zu werden“, so EU-Kommissar Günther Oettinger.
8. Mai, Düsseldorf: Röttgen erweckt den Eindruck, dass in NRW auch über Merkels Finanzkurs entschieden wird: „Angela Merkel kann nicht glaubwürdig und stark nach Außen auftreten, wenn im größten Bundesland auch Verschuldung offensiv betrieben wird.“ Das hatte noch keiner gewagt. Merkel ist sauer.
11. Mai, Bundesrat: Erst die Wirtschaft, nun die Länder: Sie lassen ihn fallen. Das Gesetz zur Solarförderung kippt, auch CDU-Ministerpräsidenten zeigen ihm die kalte Schulter.
13. März, NRW-Wahl: Die Quittung für den unglücklichen Wahlkampf fällt herber aus als erwartet. 26 Prozent sind keine Empfehlung für Röttgen.
15. Mai, Kanzleramt: Merkel ist klar, dass ihr Minister eine „lahme Ente“ ist, ein Neuanfang nottut; auch, um von sich abzulenken und um den tobenden Seehofer zu besänftigen. „Jetzt geht es um mich“, wird sie Röttgen sagen. So will es der „Spiegel“ erfahren haben. Sie erwartet Röttgens Rücktritt. Er spielt nicht mit. Einen Tag später kommt es darauf nicht mehr an.