Washington/Kabul. Präsident Obama unterzeichnet bei einem überraschenden Blitzbesuch in Kabul ein Partnerschaftsabkommen mit Präsident Karsai. Die USA zieht ihre Truppen schrittweise zurück, unterstützt aber weiter Aufbau und Training afghanischer Soldaten und Polizisten. Nach dem Besuch erschütterten drei Explosionen die Stadt.

Ein Jahr nach der gezielten Tötung von Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden hat US-Präsident Barack Obama ein neues Kapitel in den afghanisch-amerikanischen Beziehungen aufgeschlagen. Bei einem bis zur letzten Minute streng geheim gehaltenen Blitzbesuch in Kabul sagte Obama: „Wir können das Licht eines neuen Tages am Horizont sehen.“

Gemeinsam mit seinem Gegenpart Hamid Karsai unterzeichnete der Präsident am Dienstag ein seit fast zwei Jahren intern verhandeltes Partnerschaftsabkommen. Es beendet nach Obamas Worten de facto den Krieg, den Amerika seit den Attentaten vom 11. September 2001 am Hindukusch gegen das Terror-Netzwerk Al-Kaida führt.

Unterstützung bis 2024

Die wichtigsten Details: Bis Ende 2014 wird die heute aus 130.000 Soldaten bestehende internationale Schutztruppe (Isaf) nahezu vollständig abgezogen und die innere Sicherheit vollständig in die Hände der afghanische Armee und Polizei gelegt. Die USA verpflichten sich darüber hinaus, gemeinsam mit Bündnispartnern, zu denen auch Deutschland gehört, bis mindestens 2024 die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte finanziell und materiell zu unterstützen.

Zudem will Amerika alle inner-afghanischen Versöhnungsbemühungen mit den Taliban fördern und die regionale Sicherheit in der fragilen Vielvölker-Region mit den konkurrierenden Mächten Iran und Pakistan gewährleisten.

Konkrete Summen, soweit sie Amerika betreffen, nannte Obama mit Verweis auf die nötige Zustimmung des Kongresses in Washington nicht. Zur Erinnerung: Karsai hatte zuletzt vom Westen für die Zeit nach 2014 eine jährlich Unterstützung von mindestens vier Milliarden Dollar gefordert.

Obama nannte auch keine Zahl für jenes Truppen-Kontingent, das zu Stabilisierungszwecken auf „standby“ auch über2014 hinaus im Lande bleiben wird. Derzeit sind 90.000 US-Soldaten stationiert. 2013 soll die Zahl bei 65.000 liegen.

Rede zur besten Sendezeit in den USA

Mit dem schrittweisen Truppenabbau soll sichergestellt werden, dass Restbestände von Al-Kaida oder anderen Netzwerken nicht erneut zu einem Rückzugsraum für Terroristen führen, sagte Obama in der Nacht zu Mittwoch auf der US-Militärbasis Bagram nahe Kabul. Als Oberbefehlshaber werde er das nicht „zulassen“.

Die zehnminütige Rede vor der Kulisse mehrerer Militärfahrzeuge samt US-Flagge richtete sich vollständig an die kriegsmüde Heimatfront.Sie wurde, während Afghanistan längst schlief, in Amerika zur besten Sendezeit live auf allen Sendern ausgestrahlt.

Kurz zuvor hatte der Präsident vor 3200 US-Soldaten in Bagram gesprochen und sich vor ihrem Engagement und dem damit verbundenen Blutzoll im mittlerweile fast zwölf Jahre andauernden Krieg in aller Form verneigt. „Ich könnte nicht stolzer sein auf euch“, sagte der Präsident. Er besuchte verwundete Soldaten und verlieh zehn militärische Auszeichnungen („purple heart“).

Amerika will helfen und unterstützen

Obama bezeichnete die Mission, Al-Kaida vollständig zu zerstören, als in absehbarer Zeit erfüllbar. 20 von 30 Anführern seien bereits getötet und das „Momentum“ der Taliban gebrochen worden. Bereits heute lebe die Hälfte der Afghanen in Gebieten, in denen einheimische Sicherheitskräfte tonangebend seien. Bereits 2013 soll dies flächendeckend der Fall sein, bevor Ende 2014 sämtliche Aufgaben zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit in afghanische Hände gelegt würden.

Amerika werde sich danach auf eine helfende und unterstützende Rolle beschränken, aber auch kampffähig sein, falls dies nötig werde. „Wir werden weder dauerhafte Militärbasen unterhalten, noch allein das Land und seine Städte patrouillieren“, sagte der Präsident. Ein erneuter Hinweis auf den vollständigen Verzicht auf so genannte „Night Raids“, nächtliche Suchaktionen, bei denen US-Truppen sehr zur Verärgerung von Präsident Karsai in der Vergangenheit nicht seltene unschuldige Zivilisten erschossen haben.

Obama bestätigt direkte Verhandlungen mit den Taliban

So klar wie noch nie zuvor bekräftigte Obama zudem, dass Amerika Afghanistan „nicht nach seinem Vorbild bauen will“ oder die Taliban ausradieren wolle. Das Ziel bleibe ausschließlich, ein Terror-Netzwerk zu zerschlagen, dass Amerika angegriffen hat. Die Taliban könnten ein Teil der afghanischen Zukunft werden, „wenn sie mit Al-Kaida brechen, der Gewalt abschwören und die afghanischen Gesetze achten“. Erstmals bestätigte Obama offiziell, dass seine Regierung seit längerer Zeit „direkt“ mit den Taliban verhandelt.

Da nach über einem Jahrzehnt „unter der dunklen Wolke des Krieges“ sowohl in Afghanistan wie im Irak die Erledigung der Aufgaben absehbar werde, so Obama, müsse nun die „Erneuerung Amerikas“ Priorität genießen.

Für Obama war es der dritte Besuch in Afghanistan seit seinem Amtsantritt im Januar 2009. Um den Besuch in Kabul geheim zu halten, wurden die wenigen mitgereisten Journalisten zu absolutem Stillschweigen verdattert. Zudem gab das Weiße Haus am Dienstagmorgen zum Schein einen Routine-Termin-Kalender heraus, während Obama bereits im Anflug auf Kabul war.

Lob von der Opposition

Anders als noch zu Wochenbeginn, als Obamas ausgesprochen Wahlkampf-orientierter Umgang mit der Exekution Bin Ladens am 2. Mai 2011 Befremden und Wellen der Empörung auslöste, hielten sich Wortführer der oppositionellen Republikaner mit Kritik diesmal fast vollständig zurück.

John McCain, einflussreicher Senator aus Arizona, lobte die Visite Obamas bei den Truppen, die in Afghanistan nach wie vor ihr Leben aufs Spiel setzten, sogar ausdrücklich. Das Partnerschaftsabkommen, das rechtlich keine bindende Wirkung besitzt, wurde maßgeblich auch von republikanischen Experten mitgestaltet.

Drei Explosionen erschütterten Kabul 

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul sind am Mittwoch laut afghanischen Behörden sieben Menschen getötet worden. Mindestens 17 Menschen seien verletzt worden, dabei habe es sich zumeist um Schulkinder gehandelt, teilte das Innenministerium mit.

Zu dem Anschlag am frühen Mittwochmorgen bekannten sich die radikalislamischen Taliban. Ein Taliban-Sprecher erklärte, bei der Tat habe es sich um eine Reaktion auf den Besuch von US-Präsident Barack Obama gehandelt.

Am Morgen war in der Nähe eines Wohnbereichs für Mitarbeiter internationaler Unternehmen im Osten der Stadt zunächst eine Serie von Explosionen und Schüsse zu hören. Die Schießerei dauerte mehrere Stunden lang an. Später teilte die Nato mit, dass alle Angreifer getötet worden seien.

Anschlag war Reaktion auf Obamas Besuch

Bei einer der Detonationen handelte es sich um die Explosion einer Autobombe, wie ein Sprecher des Innenministeriums sagte. Der Täter habe seinen Sprengsatz an einer der wichtigsten Durchgangsstraßen gezündet. Dabei seien vier Zivilpersonen in einem Auto sowie ein Passant und ein Wachmann eines nahegelegenen Gebäudes getötet worden.

Der Taliban-Sprecher sagte, der Anschlag sei am späten Dienstagabend als Reaktion auf Obamas Besuch geplant worden. Ziel sei ein ausländischer Militärstützpunkt gewesen. Ein NATO-Sprecher sagte, es gebe keine Hinweise darauf, dass ein Stützpunkt der Allianz angegriffen worden sei. (mit dapd)