Berlin. Die Kritik am Israel-Gedicht von Literaturnobelpreisträger Günter Grass hält auch am Ostersonntag an. Literaturkritiker Reich-Ranicki nennt es “ekelhaft“, der Schriftsteller Rolf Hochhut wirft Grass Heuchelei vor. Und der Autor selbst präzisiert sein Anliegen: Er hätte Israels Premier Netanjahu benennen sollen.
Auf den Literaturnobelpreisträger Günter Grass hagelt es weiter Kritik wegen seines umstrittenen Israel-Gedicht. Der Schriftsteller Rolf Hochhut warf ihm Heuchelei vor. Grass selbst zeigte sich enttäuscht über Antisemitismus-Vorwürfe und räumte ein, er hätte seine Kritik direkt an die israelische Regierung richten solle. Lob bekam Grass unterdessen von Teilen der Friedensbewegung - und aus dem Iran.
Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki reagiert mit Abscheu auf das umstrittene Israel-Gedicht von Literaturnobelpreisträger Günter Grass. "Es ist schon ein ekelhaftes Gedicht", sagte Reich-Ranicki der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Das Werk sei "grauenvoll" und "unerträglich". Grass habe "ganz klar" die Absicht gehabt, "den Judenstaat zu attackieren". Zu schreiben, dass Israel den Weltfrieden bedrohe, sei "eine Gemeinheit" und zudem "großer Unsinn", urteilte Reich-Ranicki.
Zu Grass' Motiven erklärte er: "Er wollte eben unbedingt den großen Krach haben". Grass sei "schon immer an Sensationen, an Affären, an Skandalen interessiert" gewesen. "Er wollte ein ganz starkes Echo haben. Und das hat er erreicht."
Grass übt Selbstkritik an seinem Gedicht
Grass hatte in seinem Text in Versform mit dem Titel "Was gesagt werden muss" Israel vorgeworfen, mit seiner Iran-Politik den Weltfrieden zu gefährden. Israel beanspruche für sich das Recht auf einen Erstschlag, der das von einem "Maulhelden" - Präsident Mahmud Ahmadinedschad - unterjochte iranische Volk auslöschen könne, "weil in dessen Machtbereich der Bau einer Atombombe vermutet wird".
Grass hatte das Gedicht unter anderem in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht und räumte nun in einem Interview der Zeitung ein, er hätte deutlicher machen sollen, dass er die Politik der derzeitigen Regierung Israels habe treffen wollen: "Die kritisiere ich: Eine Politik, die gegen jede UN-Resolution den Siedlungsbau fortsetzt. Ich kritisiere eine Politik, die Israel mehr und mehr Feinde schafft und das Land mehr und mehr isoliert." Der Mann, der Israel zur Zeit am meisten schade, sei dessen Premier Netanjahu - "und das hätte ich in das Gedicht noch hineinbringen sollen".
"Verfälscher seiner eigenen Nazi-Vergangenheit"
Hochhut hielt dem 84-jährigen Grass vor, seit Diktator Adolf Hitler habe kein anderer Staat als der Iran dem jüdischen Volk mit der Ausrottung gedroht. Mit Blick auf die Zugehörigkeit zur Waffen-SS des jungen Grass schrieb der 81-Jährige: "Du bist geblieben, was Du freiwillig geworden bist: der SS-Mann, der das 60 Jahre verschwiegen hat, aber den Bundeskanzler Kohl anpöbelte, weil der Hand in Hand mit einem amerikanischen Präsidenten einen Soldatenfriedhof besuchte, auf dem auch 40 SS-Gefallene liegen - nie gab es einen meisterhafteren Tartuffe als Dich!"
Der amerikanische Bestsellerautor Daniel Jonah Goldhagen kritisierte Grass ebenfalls. In einem Beitrag für die Tageszeitung "Die Welt" (Samstagausgabe) nennt Goldhagen Grass einen "Verfälscher seiner eigenen Nazi-Vergangenheit".
Grass hofft auf sachliche Debatte
Grass sagte, er habe mit heftigen Reaktionen gerechnet, aber nicht mit dem kränkenden und pauschalen Vorwurf des Antisemitismus. "Ich hoffe immer noch, dass sich mit einem gewissen Abstand die Debatte wieder versachlicht."
Das Netzwerk Kooperation für den Frieden nahm am Samstag mit einem langen Gedicht zu der Debatte Stellung. Grass habe vor Krieg gewarnt und Israel als eine Gefahr für den Weltfrieden bezeichnet. "Wir hätten auch die USA ... genannt, aber auch die vielen arabischen und islamischen Staaten, die ... aktuelle Konflikte anheizen. Deutschland, das in Konfliktzonen Waffen liefert."
Antisemitismus-Vorwurf "absurd unbillig und unverhältnismäßig"
Die Hinweise auf Grass' SS-Zeit oder "sein angeblich gestörtes Verhältnis zu Israel" sollten von der Botschaft des Schriftstellers ablenken, "die lautet: Keine Politik, die zu einem Krieg im Iran-Konflikt führen kann," heißt es im Gedicht der Friedensbewegung.
Auch der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg verteidigt seinen deutschen Kollegen gegen Kritik. Der Antisemitismus-Vorwurf sei "so absurd unbillig und unverhältnismäßig, dass man über die fast geschlossene Front gegen den Autor nur staunen kann", schreibt Muschg in der Schweizer Zeitung "Der Sonntag". Grass werde die Kompetenz abgestritten, Kritik an Israel zu üben. Die "deutschsprachige Reaktion" drücke sich aber fast einhellig vor der Frage, ob sich diese Kritik erledigt habe.
Lob auch aus dem Iran
Anerkennung bekam Grass auch vom stellvertretenden iranischen Minister für kulturelle Angelegenheiten. Mit dem Gedicht habe Grass seine "menschliche und historische Verantwortung" vorbildlich erfüllt, schrieb der stellvertretende Minister Dschawad Schamakdari in einem am Samstag von der halbamtlichen iranischen Nachrichtenagentur Fars veröffentlichten Brief. Die Enthüllung der Wahrheit durch den Dichter könne "das stille Gewissen" des Westens wecken, schrieb Schamakdari.
Grass-Denkmal in Göttingen beschmiert
Ein von dem Schriftsteller Günter Grass gestiftetes Denkmal auf dem Campus der Göttinger Universität ist von Unbekannten beschmiert worden. Sie hinterließen auf dem Sockel mit braunroter Farbe den Spruch „SS! Günni Halts Maul“, wie Pressefotos zeigen. Der Literatur-Nobelpreisträger steht seit Tagen wegen eines israelkritischen Gedichts in der Kritik.
Grass und sein Göttinger Verleger Gerhard Steidl hatten das Denkmal vor einem Jahr der Stadt und der Universität Göttingen geschenkt. Es erinnert an sieben Göttinger Professoren, die im 19. Jahrhundert gegen die Aussetzung der Verfassung durch König Ernst August protestiert hatten. Wann sich die Tat ereignete, war unklar. Die Polizei ermittelt wegen Sachbeschädigung. (dapd)
Günter Grass in Bochum