Berlin. Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat in einem Gedicht die Iran-Politik Israels scharf angegriffen und ist dadurch selbst in die Kritik geraten. Grass warf Israel in seinem Gedicht vor, den Weltfrieden zu gefährden. Dafür hagelte es Vorwürfe.

Schon lange hat kein literarisches Werk mehr für so viel Aufsehen gesorgt wie das neue Gedicht von Günter Grass zum Atomkonflikt mit dem Iran. Der Nobelpreisträger attackiert darin den Staat Israel. "Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden", schreibt Grass. Zudem kritisiert er die deutsche Außenpolitik.

Das Gedicht trägt den Titel "Was gesagt werden muss". Veröffentlicht wurde es in den jeweiligen Mittwoch-Ausgaben der "Süddeutschen Zeitung", der "New York Times" und von "La Repubblica". In einer weiteren Passage des Gedichtes heißt es zu Israel, das Land habe "ein wachsend nukleares Potential verfügbar", das jedoch geheim gehalten und nicht kontrolliert werde.

Grass kritisiert U-Boot-Geschäft mit Israel

Grass stellt in seinem jüngsten Werk zudem infrage, ob Iran tatsächlich über eine Atombombe verfügt. Der Bau einer solchen Waffe werde nur "vermutet". In diesem Zusammenhang kritisiert er auch die Position Deutschlands: "Mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert", schreibt Grass, solle ein weiteres U-Boot nach Israel geliefert werden, "dessen Spezialität darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist".

Schon kurz nach der Veröffentlichung stießen die Verszeilen größtenteils auf Empörung. Die Bundesregierung blieb indes demonstrativ gelassen. "Es gilt in Deutschland die Freiheit der Kunst, und es gilt glücklicherweise auch die Freiheit der Bundesregierung, sich nicht zu jeder künstlerischen Hervorbringung äußern zu müssen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Grass selbst lehnte eine Rechtfertigung vorerst ab.

Israelische Botschaft weist Grass' Kritik zurück

Die israelische Botschaft in Berlin wies die Anwürfe des Literaturnobelpreisträgers zurück: Israel sei der einzige Staat auf der Welt, dessen Existenzrecht öffentlich angezweifelt werde, hieß es in einer Erklärung des Gesandten Emmanuel Nahshon. Die Israelis wollten in Frieden mit den Nachbarn in der Region leben. Sein Land sei "nicht bereit, die Rolle zu übernehmen, die Günter Grass uns bei der Vergangenheitsbewältigung des deutschen Volkes zuweist", betonte Nahshon. Auch das "American Jewish Committee" zeigte sich "entsetzt über Günter Grass' neuerlichen Versuch, Israel zu delegitimieren".

Charlotte Knobloch
Charlotte Knobloch

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, nannte das Gedicht ein "Hasspamphlet". Grass schiebe Israel die Verantwortung für eine Gefährdung des Weltfriedens zu, kritisierte Graumann. Auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, warf dem Schriftsteller ein "durchschaubares Schmierentheater" vor.

Publizist Broder nennt den Dichter Antisemiten

Der Publizist Henryk M. Broder Günter Grass in einem Beitrag für die Tageszeitung "Die Welt" einen "Prototyp des gebildeten Antisemiten". Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki zog es vor, zu dem Gedicht von Grass zu schweigen: "Ich werde mich nicht über Grass äußern", sagte er der dapd.

Die Debatte erreichte auch den Bundestag: Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, distanzierte sich klar von dem jüngsten Werk des Schriftstellers. "Das Gedicht gefällt mir nicht", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung" (Donnerstagausgabe). Der CDU-Politiker kritisierte, die einseitige Schuldzuweisung an Israel sei falsch. "Das Land, das uns Sorgen bereitet, ist der Iran. Davon lenkt sein Gedicht ab."

Auch von den Grünen hagelte es Kritik. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte "Spiegel Online", sie schätze Grass sehr - "aber das Gedicht empfinde ich vor dem Hintergrund der politischen Lage im Nahen Osten als irritierend und unangemessen". Der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke (Linke) vertrat hingegen die Meinung, Grass habe "den Mut auszusprechen, was weithin verschwiegen wurde".

So argumentiert auch sein Parteikollege Niema Movassat gegenüber der WAZ: "Günter Grass hat in vielen Punkten Recht. Nämlich dass ein Krieg im Nahen Osten droht, welcher gravierende Auswirkungen haben wird. Außerdem benennt er Fakten, wie dass Israel Atommacht ist, Deutschland atomwaffenfähige U-Boote an Israel liefert und dass es unbewiesen ist, dass der Iran an einer Atombombe baut. Beim letzten Punkt kommt selbst der US-Geheimdienst CIA zum Schluss, dass es keine Beweise für ein aktuelles iranisches Atomwaffenprogramm gibt. Grass hat letztlich den Mut auszusprechen, was viele wissen aber verschweigen. Seine Kritiker aber konstruieren aus einer Israelkritik Antisemitismus. Dieser Vorwurf ist mehr als nur absurd. Die deutsche Politik sollte seine Worte ernst nehmen und endlich ihre diplomatischen Möglichkeiten nutzen, den drohenden Krieg zu verhindern." (dapd/we)

Zitate zum Grass-Gedicht

"Grass redet Blech und trommelt in die falsche Richtung."

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann

"Ich bin schockiert."

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann

"Diese jetzt erst, gealtert und mit letzter Tinte geschriebene Verse sind ein klassischer Fall für Fremdschämen."

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch

"Fest steht: Alter schützt vor Torheit nicht - und wie man im Falle Grass sehen kann, heilt Alter Torheit auch nicht."

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch

"Das Gedicht ist geschmacklos, unhistorisch und zeugt von Unkenntnis der Situation im Nahen Osten."

Der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Philipp Mißfelder (CDU), im "Kölner Stadt-Anzeiger"

"Immer wenn er sich zur Politik äußert, hat er Schwierigkeiten und liegt meist daneben."

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), in der "Mitteldeutschen Zeitung"

"Ich werde mich nicht über Grass äußern."

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki.

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