Washington. US-Präsident Obama und Russlands Staatsoberhaupt Medwedew wollten eigentlich vertraulich über die Raketenpläne der Nato sprechen. Doch eine Fernseh-Mikrofon schnitt den Wortwechsel des Vier-Augen-Gesprächs mit. Die Republikaner reagieren mit gespielter Empörung - und Obama kontert.

Die letzte russische-amerikanische Panne mit einem versehentlich nicht abgeschalteten Mikrofon liegt bald 30 Jahre zurück. US-Präsident Ronald Reagan sorgte 1984 bei einer Radio-Sprechprobe mit der Ankündigung für weltweite Schockstarre, er habe den Auftrag erteilt, die Sowjetunion von der Landkarte ausradieren und „in fünf Minuten bombardieren zu lassen“. Es sollte, kein Witz, ein Scherz sein.

Was sich Barack Obama und der noch amtierende russische Präsident Dmitri Medwedew jetzt beim Gipfeltreffen für atomare Sicherheit im südkoreanischen Seoul in einem nicht für die Außenwelt bestimmten (und doch von einem offenen Fernseh-Mikrofon aufgeschnappten) Vier-Augen-Gespräch zu erzählen hatten, besitzt bei Licht betrachtet deutlich weniger Sprengkraft. Aber wieder kann kaum jemand darüber lachen.

Umstrittenes Raketenabwehrsystem

Es geht um das umstrittene Raketenabwehrsystem, das die Nato bis Ende des Jahrzehnts in Europa installieren will, um sich vor etwaigen Angriffen aus unsicheren Kantonisten-Staaten wie dem Iran zu schützen. Moskau begehrt gegen das Projekt auf, das vom Stützpunkt Ramstein in der Pfalz dirigiert werden soll. Der Kreml argwöhnt, der Schutzschild sei gegen ihn selbst gerichtet. Mitsprache will die Nato den notorisch eingeschnappten Russen bisher nicht gewähren. Trotzdem soll eine Einigung erzielt werden. Am besten noch vor dem Nato-Gipfel Ende Mai in Chicago. Soweit die Ausgangslage.

Dann kam am Montag der kurze Wortwechsel von Seoul. Obama beugt sich zu dem ihm gegenüber in einem Ledersessel sitzenden Medwedew herüber und sagt mit Blick auf den 6. November: „Das ist meine letzte Wahl.“ Putin, Russlands alter und künftiger Präsident, müsse ihm bis dahin „Raum“ geben. Nach der Wahl habe er, Obama, „mehr Flexibilität“ in der Sache und man könne sich bestimmt einigen. Medwedew nickt, signalisiert Ich-verstehe und verspricht: „Ich werde Wladimir die Information überbringen.“ Das war’s. Was Obama exakt mit „Raum“ meint, wie er „mehr Flexibilität“ verstanden wissen will – dazu fällt kein weiteres Wort.

Gespielte Empörung der Republikaner

Was die oppositionellen Republikaner in Washington diebisch gefreut haben muss. Umgehend besetzten sie den Interpretationsspielraum. Einflussreiche Senatoren und Kongress-Abgeordnete brachten ohne ein hartes Indiz die Deutung unters Volk, der Mann im Weißen Haus verkaufe hinter dem Rücken des amerikanischen Volkes die Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten. Mit gespielter Empörung forderte der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, via Twitter, dass Obama nach seiner Rückkehr umgehend die Hosen herunterlassen müsse. Mitt Romney, mutmaßlicher Gegenspieler Obamas bei der Wahl im Herbst, raunte auf CNN etwas von „alarmierenden und beunruhigenden Zugeständnissen“, die Obama ausgerechnet den Russen mache, Amerikas größtem Widersacher.

Davon könne keine Rede sein, konterte Obamas Sicherheitsberater Benjamin Rhodes. Obama habe lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass im Wahljahr 2012 - Russland hat just (Putin) gewählt, die USA tun es noch – kein Durchbruch bei dem heiklen Thema erzielt werden könne. Amerika halte gleichwohl unverändert an dem Raketenschutzschirm fest. Der auch nachts nimmermüden Nachrichtenmaschine in den Vereinigten Staaten reichte der Erklärungsversuch nicht.

Obama kontert

Und so ging Obama gestern selbst in die Offensive. Atomare Abrüstung, das eigentliche Thema auf dem Gipfel von 54 Staaten in Seoul, und der Raketenabwehrschirm gehöre für Russland zusammen, sagt der Präsident. Er selber benötige für eine Lösung das Ja des Pentagon, einen willigen Kongress und die Unterstützung beider Parteien. Die „augenblickliche Atmosphäre“ sei aber nicht dazu angetan, in Ruhe über das Thema zu beraten, ergänzte der Präsident mit Blick auf die wahlkampftaktischen Dauerfehden zwischen Demokraten und Republikanern – und die Machtübergabe von Medwedew auf Putin in Russland. Ergo sei 2013 der geeignetere Zeitpunkt für Verhandlungen. Bevor Obama seine kleine Lehrstunde in Sache „Flexibilität“ begann, fragte er die Journalisten mit einem Augenzwinkern, ob alle Mikrofone eingeschaltet sind. Waren sie.