Toulouse. . Ein Mann mit Motorradhelm feuert mit zwei Pistolen auf wehrlose Schüler und ihre Eltern. Frankreich ist erschüttert nach dem Blutbad an einer jüdischen Schule in Toulouse, bei dem drei Kinder und ein Religionslehrer starben. Hinter der Tat vermutet die Polizei einen Serienkiller.
Das „Collège et Lycée Ozar Hatorah“ liegt mitten in einem Wohngebiet von Toulouse. An diesem Montagmorgen um kurz nach acht herrscht am Haupteingang das übliche Gedrängel. Eltern verabschieden sich von ihren Kindern – eilige Wangenküsschen hier, aufmunternde „bonne journée“-Wünsche dort. In diesem friedlichen Augenblick fährt der Killer mit seinem Motorroller vor. Und beginnt sein mörderisches Werk.
Zuerst feuert er aus einer Neun-Millimeter-Pistole wahllos auf die Wehrlosen, über ein Dutzend Patronenhülsen prasseln auf die schmale „Rue Jules Dalou“. Panik bricht aus. Wer kann, versucht sich ins Gebäude zu retten. Doch der Pistolenschütze, ein Mann, den der Toulouser Staatsanwalt Michel Valet später als „sehr kräftig, sehr entschlossen und sehr kaltblütig“ beschreiben wird, setzt den Flüchtenden nach.
Soldaten getötet
Am letzten Donnerstag schlug der Täter im 50 Kilometer entfernten Montauban zu. Hier lauerte er drei Soldaten des 17. Fallschirmjäger-Regiments auf, die in der Mittagszeit in unmittelbarer Nähe der Kaserne in einer Bäckerei einkauften. Im Kugelhagel starben ein 24 und ein 26 Jahre alter Soldat, ihr 28-jähriger Kamerad wurde schwer verletzt, er ringt noch immer mit dem Tod. Wieder sahen Zeugen den Täter auf seinem Roller davonfahren.
Alexia, eine Fünftklässlerin, wird Augenzeugin des entsetzlichen Blutbades. „Ich hatte schreckliche Angst“, spricht sie ins Mikrofon eines Nachrichtensenders. Im Gebäude zückt der Attentäter, dessen Gesicht stets hinter dem Helm verborgen bleibt, seine zweite Waffe, eine Automatikpistole mit dem großen Kaliber 11.43. Wieder eröffnet er das Feuer, danach steigt er auf seinen Motorroller und verschwindet spurlos.
„Akt der Barbarei“
Die Bilanz: vier Tote, darunter ein franko-israelischer Religionslehrer (30), seine drei und sechs Jahre alten Kinder, sowie ein zehnjähriges Mädchen. Ein 17-Jähriger wird mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht.
Die Nachricht verbreitet sich innerhalb der jüdischen Gemeinde von Toulouse in Windeseile, besorgte Eltern rennen zur Schule. Jonathan Hayou, Präsident der Jüdischen Studentenvereinigung in Frankreich, spricht von einem „Akt der Barbarei“ und einer „antisemitischen Tat“.
Toulouse ist traumatisiert und Frankreich steht unter Schock. Sogar der hitzige Wahlkampf kommt zum Erliegen. Die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl sagen alle Termine ab, der Präsident und sein sozialistischer Herausforderer François Hollande fliegen sofort nach Toulouse. „Eine nationale Tragödie“, sagt Nicolas Sarkozy und ordnet für diesen Dienstag eine Schweigeminute in allen französischen Schulen an.
Ein beklemmender Verdacht
Als die Fahnder die 11.43-Millimeter-Patronenhülsen inspizieren, beschleicht sie sofort ein beklemmender Verdacht. Sie begreifen, dass hier offenbar ein kaltblütiger Serienmörder unterwegs ist. Denn mit Pistolen desselben Kalibers wurden in der vergangenen Woche bereits drei Soldaten getötet. Am 11. März hatte der Unbekannte in Toulouse einen 30 Jahre alten Fallschirmjäger mit einem gezielten Schuss in den Kopf hingerichtet. Zeugen erinnerten sich, dass er mit einem Motorroller flüchtete.
Wer verbirgt sich hinter diesem Killer? Beobachter sehen einen „wahnsinnigen Rassisten“ und Antisemiten am Werk. Der Grund: Bei zwei getöteten Soldaten handelt es sich um Söhne nordafrikanischer Einwanderer und der schwer verletzte Soldat von den Antillen ist dunkelhäutig.
Das Politmagazin „lepoint.fr“ berichtet von einer vagen Spur. 2008 habe es im 17. Fallschirmjägerregiment neonazistische Vorfälle gegeben, daraufhin seien drei Soldaten entlassen worden, die einer Neonazi-Gruppe nahestanden. Ein Foto sei aufgetaucht, das die „Waffenbrüder“ mit einer Hakenkreuzfahne und dem Hitlergruß zeigt.
Foto mit Hakenkreuz
Die Fahndung nach dem Serienmörder läuft auf Hochtouren, Innenminister Claude Guéant zog über 150 Kriminalbeamte aus ganz Frankreich in Toulouse zusammen. Doch solange der Killer frei herumläuft, geht in Toulouse die Angst um. Auf Befehl des Verteidigungsministers verzichten die Militärs beim Ausgang schon seit Tagen auf ihren Soldatenrock.