Essen. . Ein Experte der Uni Bielefeld: „Jede fünfte studentische Arbeit in Deutschland enthält in Teilen Plagiate“.

Wo immer man nachfragt: Sämtliche Unis beteuern, eine Menge gegen das Fälschen wissenschaftlicher Arbeiten zu unternehmen. Nicht erst seit der Guttenberg-Affäre vor einem Jahr. Doch beim Nachhaken wird klar: Hausarbeiten und Dissertationen werden auch in NRW so gut wie nie auf Plagiate kontrolliert. Dabei ist der Diebstahl fremden geistigen Eigentums per „Copy & Paste“ heute so leicht wie nie zuvor.

Sebastian Sattler, Soziologe an der Uni Bielefeld, hat nach Auswertung mehrerer Tausend Rückmeldungen herausgefunden: Jede fünfte studentische Arbeit enthält in Teilen Plagiate. Meist steckt gar keine böse Absicht dahinter, wie Sattler unterstreicht: „Oft vermitteln die Hochschulen ihren Studenten nicht gut genug, warum es sinnvoll ist, wissenschaftlich sauber zu arbeiten. Viele wissen auch gar nicht, wie solche Texte geschrieben werden müssen. Die Unsicherheiten sind groß.“

„Der Ehrliche ist der Dumme“

Joachim Wiemeyer, Prüfungsausschuss-Vorsitzender an der Ruhr-Uni, hält die Zahl der echten Fälscher für kleiner: „Ein Prozent schummelt, aber alle stehen unter Generalverdacht. Der ehrliche Student ist dadurch der Dumme.“

Debora Weber-Wulff, Professorin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, hat die Software zur Erkennung von Plagiaten getestet und für schlecht befunden. „Mit Google erzielt man bessere Resultate“, sagt sie. Einfache, schnelle, präzise Plagiats­erkennung sei mit der heutigen Software kaum möglich.

Weber-Wulff, die selbst mit Gleichgesinnten Fälschungen in Doktorarbeiten sucht, fordert: „Dissertationen müssten grundsätzlich online veröffentlicht werden, dann gäbe es nämlich mehr Zufallsfunde von Plagiaten. Außerdem bräuchten wir eine von Unis und Fakultäten unabhängige Stelle, die stichpunktartig Dissertationen überprüft.“

Eidesstattliche Erklärung

Die Meinungen innerhalb der Wissenschafts-Community gehen weit auseinander. Der Deutsche Hochschulverband (DHV), also die Berufsvertretung der Wissenschaftler, schlägt zum Beispiel vor, dass schriftliche Arbeiten immer auch in digitaler Form eingereicht werden sollten. An vielen Unis ist das inzwischen auch üblich. Plagiats-Software müsse vorhanden sein und Doktoranden sollten eine „eidesstattliche Erklärung“ abgeben, dass sie nicht abschreiben.

Der Wissenschaftsrat (WR), der die Bundesregierung in Hochschul-Angelegenheiten berät, hält die DHV-Vorschläge für unzureichend. Er wünscht die stichprobenartige Untersuchung aller Doktorarbeiten, die längere Texte enthalten. „Dass einige Fakultäten heute von ihren Doktoranden eidesstattliche Erklärungen verlangen, bringt wenig. Wer betrügen will, der betrügt. Und die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten lässt sich nicht durch Gerichte feststellen, sondern nur durch Wissenschaftler“, meint WR-Vorsitzender Wolfgang Marquardt gegenüber dieser Zeitung.

Intensivere Betreuung

Der Wissenschaftsrat schlägt deshalb ein Promotionskomitee vor, besetzt mit dem Betreuer und weiteren Wissenschaftlern, die die gesamte Promotionsphase begleiten.

Marquardt meint auch: „Die Betreuung muss intensiv und promotionsbegleitend sein. Nur dann werden Qualitätsmängel auffallen, wenn beispielsweise eine Textpassage nicht richtig zum Hintergrund des Verfassers passt. Das geht aber nicht, wenn sich Promovend und Berater nur einmal im Jahr treffen.“

Straßenumfrage zu Guttenberg-Rücktritt

"Ich bin froh, dass ein Betrüger zurückgetreten ist. Guttenberg hat bis zuletzt immer noch gelogen. Mich hat geärgert, dass er vor den Kameras erklärt hat, dass er das alles nicht mit Absicht gemacht habe. Er dachte, damit würde er durchkommen." Robin Hau, 30, aus Regensburg © WAZ FotoPool
"Wenn Guttenberg nicht zurückgetreten wäre, wäre er in seiner politischen Arbeit nicht weitergekommen. Anfangs fand ich diesen strammen Manager, der durchgreifen kann, gut. Doch dann hat er im Falle des Kapitäns der Gorch Fock vorschnell gehandelt." Alfred Nern, 79, aus Essen. © WAZ FotoPool
"Wir sollen unseren Kindern Wertgefühle vermitteln. Daher ist es gut, dass er zurückgetreten ist. Allerdings kam dieser Schritt zu spät. Hätte er gleich reinen Tisch gemacht, hätte er bessere Chancen gehabt, wieder einen Job zu finden." Hans-Jürger Fiedler, 63, aus Oberhausen © WAZ FotoPool
"Nach dem was vorgefallen ist, ist es die richtige Konsequenz, dass er diesen Schritt gemacht hat. Um so ein bisschen seinen Stolz, wenn er den denn noch hat, zu wahren. Ich finde es nicht in Ordnung, dass Angela Merkel ihn so lange unterstützt hat." Brigitte Held (57) aus Essen © WAZ FotoPool
"Guttenberg ist ein Lügenbaron, weil er bei der Doktorarbeit so viele betrogen hat. Eine Doktorarbeit spielt schon in das Amt des Verteidigungsministers hinein, der Rücktritt war richtig. Nicht richtig ist, dass Merkel ihn so lange unterstützt hat." Hedwig Fonger, 57, aus Essen © WAZ FotoPool
"Guttenberg hat sich zu spät von seiner Doktorarbeit distanziert. Der Rücktritt war nur eine Frage der Zeit. Trotzdem glaube ich, dass seine Doktorarbeit nichts mit seiner Arbeit als Verteidigungsminister zu tun hat." Antje Korte (40) aus dem Kreis Wesel © WAZ FotoPool
"Auch ein Herr Guttenberg kann nicht meinen, nur weil er Freiherr ist, dass er sich einen Doktortitel erschwindeln kann. Jeder normale Bürger wäre schon längst zurückgetreten." Bernhard Großbröhmer, 65, aus Essen © WAZ FotoPool
"Guttenberg ist schon durch sein exponiertes Verhalten aufgefallen. Er hat zunächst auch mich überzeugt. Aber dann m usste ich doch feststellen, dass als das, was er sagte, mehr oder weniger Luft war. Er war ein Selbstdarsteller." Walter Schroeder (59) aus Essen © WAZ FotoPool
"In unserer Gesellschaft wird den Fehlern von Menschen oder Politikern wenig verständnis entgegengebracht wird. Es war damit zu rechnen, dass er zurücktritt, aber nur, weil so viel Druck gemacht worden ist." Bettina Duda (26) aus Recklinghausen © WAZ FotoPool
"Ich finde es ein Unding, dass das mit seiner Doktorarbeit rausgekommen ist. Das hätte schon vor Jahren passieren müssen. Dass er jetzt wegen so einer Lappalie zurücktreten muss, ist nicht richtig. Er ist zu diesem Schritt gezwungen worden." Johanna Gerber (21) aus Berlin © WAZ FotoPool
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