Kairo. Ein Jahr nach dem Sturz des ägyptischen Diktators Hosni Mubarak ist die Euphorie verflogen. Wirtschaftlich geht es vielen Ägyptern nicht besser, und politisch hat sich nicht viel geändert. Eine Bilanz.
Als vor einem Jahr Ägyptens Vize-Präsident Omar Suleiman mit steinerner Miene im Staatsfernsehen erschien, lagen sich Soldaten und Demonstranten jubelnd in den Armen. „Unter diesen schwierigen Umständen, die das Land derzeit durchmacht, hat Präsident Hosni Mubarak entschieden, das Amt des Präsidenten niederzulegen“, las Suleiman mit belegter Stimme vom Blatt.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, die ganze Nacht feierten Hunderttausende auf dem Tahrir-Platz in Kairo ihren Sieg. Der entthronte Potentat hatte sich da schon per Flugzeug in sein Domizil nach Sharm al-Sheikh abgesetzt. „Ägypten wird niemals mehr so sein wie vorher”, gratulierte US-Präsident Barack Obama aus der Ferne.
Von der kollektiven Euphorie ist nur noch wenig zu spüren
Nach einem Jahr ist von dieser kollektiven Euphorie nur noch wenig zu spüren. Auf den Straßen macht sich Kriminalität breit, die Wirtschaft liegt am Boden, Touristen blieben weg, und die Staatsfinanzen sind außer Kontrolle geraten. Andererseits hat das Volk das erste demokratische Parlament in der Geschichte Ägyptens gewählt sowie den Mordprozess gegen seinen Langzeit-Pharao erzwungen. Wahrscheinlich noch im Februar sieht der 83-Jährige jetzt seinem Urteil wegen Mordes und Beihilfe zum Mord in 846 Fällen entgegen.
Auf Anweisung des Innenministeriums soll Mubarak aus dem Kairoer Militärkrankenhaus in eine Zelle im Thora-Gefängnis verlegt werden, auch weil die Verantwortlichen fürchten, ein bewaffneter Mob könnte das Hospital stürmen und den Ex-Präsidenten lynchen. Bis Ende nächster Woche haben noch die Verteidiger das Wort. Dann will der Vorsitzende Richter Ahmed Refaat den Termin für das Urteil bekannt geben.
Fast jeden Morgen landete in den letzten sechs Monaten kurz vor neun Uhr der weiße Hubschrauber auf dem weitläufigen Gelände der Zentralen Polizeiakademie in Kairo. Minuten später wurde der in Decken eingehüllte Ex-Präsident auf einer Trage in den vergitterten Käfig gerollt, der eigens für den Prozess in das Auditorium eingebaut wurde. Genauso regelmäßig lieferten sich draußen vor den Toren Anhänger und Gegner des Hauptangeklagten ihre ritualisierten Schlägereien. Die einen liefen mit symbolischen Galgenstricken umher, die anderen mit Heldenplakaten ihres gestürzten Idols.
Innen stießen die Gegensätze im Juristenarabisch ebenso hart aufeinander. Für die Staatsanwaltschaft ist Mubarak ein „tyrannischer Führer“, der für die tödlichen Schüsse auf Demonstranten voll verantwortlich ist und exekutiert gehört. Darüber hinaus habe er „die Korruption im Land ausgebreitet, die Türen für seine Freunde und Verwandte geöffnet und das Land bedenkenlos ruiniert“, sagte Chefankläger Mustafa Suleiman. Der Ex-Diktator verdiene es, „in Erniedrigung und Entwürdigung zu enden – vom Präsidentenpalast über den Angeklagtenkäfig hin zur härtesten aller Strafen“.
Kampf der Anwälte
Gegenspieler Farid el-Deeb, der Chefverteidiger Mubaraks, dagegen zeichnete in blumiger Sprache das Bild eines zu Unrecht verleumdeten Opfers, das 29 Jahre lang seine ganze Kraft und Gesundheit in den Dienst der Nation gestellt hat und jetzt hinterlistig traktiert wird von seinem bösartigen und undankbaren Volk. Mubarak sei kein blutrünstiger Tyrann, sondern eine untadelige Persönlichkeit, die kein Unrecht auf sich geladen habe.
„Alles Lügen, alles Lügen! Hängt Mubarak auf“, unterbrachen ihn erregt dutzende Anwälte der Opfer. Nur mit Mühe konnten die Sicherheitskräfte verhindern, dass die Advokaten im Saal mit Fäusten aufeinander losgingen.
Schwere Krawalle
Draußen im Land dagegen entladen sich die postrevolutionären Spannungen mittlerweile regelmäßig in schweren Krawallen – zuletzt in Port Said im Fußballstadion und anschließend in Kairo mit fast hundert Toten und über 3000 Verletzten.
Zum Feiern ist am Jahrestag von Mubaraks Sturz daher niemandem zumute. Stattdessen wollen die Aktivisten das ganze Land jetzt mit einem Generalstreik lahm legen und so den Rücktritt der herrschenden Militärführung erzwingen. Die Generäle jedoch geben sich ungerührt. In Kairo und anderen größeren Städten des Landes ließen sie alles an gepanzerten Fahrzeugen auffahren, was sie in den Kasernen haben.