Essen.. Der Druck auf den Bundespräsidenten wächst. Warum macht er weiter, während sich sein Vorgänger Horst Köhler schon von einem vergleichsweise lauen ProtestLüftchen wegwehen ließ? Die WAZ fragte den Sozialpsychologen Manfred Schmitt von der Uni Koblenz-Landau.

Der Druck auf den Bundespräsidenten wächst. Kommentatoren drängen Christian Wulff zum Rücktritt, Bürger empören sich in Internet-Foren. Warum stemmt sich Wulff gegen den Sturm der Entrüstung? Warum macht er weiter, während sich sein Vorgänger Horst Köhler schon von einem vergleichsweise lauen ProtestLüftchen wegwehen ließ? Die WAZ fragte den Sozialpsychologen Manfred Schmitt von der Uni Koblenz-Landau.

Professor Schmitt, wie gehen Politiker und andere Prominente mit harter Kritik um
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Manfred Schmitt: Mehrere Faktoren bestimmen den Umgang mit diesem öffentlichen Druck. Ein wichtiger ist das Unrechtsbewusstsein. Das war bei Margot Käßmann offensichtlich stärker ausgeprägt als bei Christian Wulff. Aus Käßmanns Sicht war ihre Trunkenheitsfahrt ein eklatanter Verstoß gegen sämtliche eigenen Prinzipien. Bei Wulff ist das anders. Auch bei Adolf Sauerland, dem Duisburger Oberbürgermeister, ist das Unrechtsbewusstsein offensichtlich sehr gering ausgeprägt.

Entscheidet das schon über Verbleib oder Rücktritt?

Schmitt: Nein. Dazu kommen Persönlichkeitsmerkmale wie, umgangssprachlich ausgedrückt, die Dickfelligkeit. Diese ist zu einem erheblichen Maße angeboren. Ein Musterbeispiel dafür ist Altbundeskanzler Helmut Kohl. Der hat die Parteispenden-Affäre einfach ausgesessen. Man könnte sagen: Nur Dickfellige halten es in der Politik aus. Andersherum: Dünnhäutige sind im politischen Geschäft eine Seltenheit. Nur zum Teil kann man sich Dickfelligkeit auch zulegen. Ein dritter Faktor ist die Erosion der Widerstandsfähigkeit gegen Kritik.

Was ist das denn?

Schmitt: Wenn die Angriffe gegen eine Person ein gewisses Maß überschreiten, dann tritt Zermürbung ein. Das war wahrscheinlich bei Horst Köhler so. Wir alle sind zermürbbar, manche früher, andere später. Einige Menschen sind allerdings widerstandsfähiger, sie zeigen „Hardiness“, wie man in der Fachsprache der Psychologie sagt. So gibt es Kinder und Jugendliche, die trotz widrigster Umstände und Umweltbedingungen psychisch gesund bleiben. Sie sind gegen Widrigkeiten aller Art gewappnet.

Welche Rolle spielt das persönliche Umfeld?

Schmitt: Es ist wichtig, ob der Angegriffene Unterstützung von privater Seite oder Kollegen hat. Wenn die Gruppen, denen man angehört – in diesem Fall Familie, Partei, Beraterstab – zu einem stehen, dann ist Druck leichter zu ertragen.

Was könnte Politikern den Abschied vom Amt erleichtern?

Schmitt: Ganz wichtig ist die Frage, wie gut jemand auf eine solche Situation vorbereitet ist. Hat der Betroffene vorher schon mal ans Aufhören gedacht? Gibt es für ihn Alternativen? Passt ein Rücktritt in den persönlichen Lebensplan? Ich nenne das Beispiel Helmut Schmidt: Der hatte nach dem Ende seiner Kanzlerschaft auf den Partei- und Fraktionsvorsitz verzichtet, obwohl die SPD ihm das angeboten hatte. Schmidt zog sich zurück, weil er einen „Plan B“ hatte: das Engagement bei der „Zeit“. Die Frage ist nun: Hat Christian Wulff auch einen Plan B?

Warum ist die Empörung über Wulffs Umgang mit Journalisten eigentlich so groß?

Schmitt: Sein Versuch, bei Redakteuren zu intervenieren, war riskant. Darauf reagieren die meisten Menschen nämlich sehr empfindlich, insbesondere hier in Deutschland. Die Erfahrungen aus der NS-Zeit und aus der DDR sind ja noch präsent. Die Meinungsfreiheit ist hierzulande ein sehr hohes Gut.